Cora - MyLady 334 - Clay, Merilyn - Miss Tessa aus Amerika
attraktiv aus in einem marineblauen Tuchrock und weinroten Hosen.
»Sie sehen heute Morgen einfach zauberhaft aus«, fuhr der Earl mit einem Lächeln fort.
»Danke, Sir«, erwiderte Tessa ein wenig kühl. Lord Penwyck war gewiss nur deswegen so freundlich, weil er sich über ihre baldige Abreise freute. »Ob ich Sie wohl um etwas bitten dürfte?«
Er trat erwartungsvoll näher. »Ich stehe ganz zu Ihren Diensten, meine Liebe, fragen Sie nur.«
Tessa zuckte zusammen. Übertrieb er jetzt nicht ein bisschen? »Ich wollte fragen, ob Sie für mich eine Passage auf dem nächsten Schiff nach Amerika buchen könnten.«
»Sie sind also entschlossen zu fahren?« fragte er leise.
Nach einer Pause fuhr er fort: »Tatsächlich wollte ich Sie auch etwas fragen, Miss Darby.«
Tessa hob das Kinn und wartete. Dem Earl schien plötzlich ein wenig unwohl zu werden.
»Mir ist klar, Miss Darby«, begann er, »dass Sie auch deswegen nach England kamen, um Mr. Cobbett oder anderen Reformführern Ihre… Ansichten bezüglich einiger Missstände in diesem Land mitzuteilen.«
Tessa betrachtete ihn neugierig. »Richtig, Sir, das wollte ich, aber nun…«
Er hob die Hand. »Ich wollte fragen, Miss Darby, ob Sie Ihren Essay fertig stellen möchten und mir erlauben würden, ihn Mr. Cobbett zu bringen. Zweifellos wird er ihn veröffentlichen wollen. Schreiben Sie, worüber Sie wollen, Miss Darby, es wird bestimmt ein brillanter Aufsatz.«
Brillant? Tessa hob eine Augenbraue. Er übertrieb wirklich maßlos. »Nun, ich… ich habe eine Menge zu erledigen, Sir. Tatsächlich…«, sie lachte nervös, »… habe ich sogar eine Liste erstellt, damit ich nichts vergesse.«
Sie zog die Liste hervor.
Lord Penwyck grinste. »Eine Liste, ja? Nun, ich freue mich auf Ihren Essay, Miss Darby. Guten Tag.«
Tessa sah zu, wie er zur Tür schlenderte und verschwand.
Seine Bitte kam höchst überraschend. Es war so ungefähr das Allerletzte, was sie von ihm erwartet hätte.
Dennoch setzte sie sich an diesem Nachmittag wieder an ihren Schreibtisch. Sie hatte keine Ahnung, warum Lord Penwyck sie so plötzlich gebeten hatte, den Aufsatz zu schreiben, doch weil sie Mr. Cobbett ihre Ansichten unbedingt mitteilen wollte, wollte sie diese letzte Gelegenheit nutzen. Vielleicht erreichten ihre Worte ja irgendjemanden, der einen Wandel herbeiführen konnte.
Sie schrieb ausführlich über die furchtbaren Bedingungen, unter denen wehrlose Frauen und Kinder in den Textilfabriken schuften mussten, über die langen Arbeitszeiten, das schlechte Essen, die fehlende Belüftung und die übergroße Arbeitslast. Sie schrieb über fünf-, sechsjährige Kinder, die man bis zu zwölf Stunden täglich in Kohlebergwerken arbeiten ließ, in völliger Stille und Dunkelheit, und von Frauen und Kindern, die man vor die Förderkarren schirrte, weil sie im Unterhalt billiger waren als Esel.
Sie schrieb über das Elend der vielen Schornsteinfegerjungen, kleine Kinder von vier, fünf Jahren, die man die Kamine hinaufjagte. Tessa berichtete, wie die Kinder nach Atem japsten, wie ihre Augen und Lungen brannten von dem dicken schwarzen Rauch, den sie einatmen mussten, von den blutigen Schürfwunden, die sie sich in den engen Kaminen holten.
Tessa setzte sich für die Kinder ein, die in zerlumpter Kleidung auf den Straßen Londons lebten, die winters vor Kälte zitterten, mühsam ihr Dasein fristeten und dabei immer wieder Misshandlungen ausgesetzt waren. Viele wurden kriminell, gerieten in Banden, die die Reichen und die Krämer bestahlen. Tessa hatte einmal beobachtet, wie ein kleiner Junge Hafer aus dem Futtersack eines Pferdes stibitzte und sich das Getreide in den Mund stopfte.
Als sie mit ihrem leidenschaftlichen Appell fertig war, schrieb sie ihn ins Reine, da sie nicht wollte, dass Mr.
Cobbett auch nur ein einziges Wort entging.
Beim Abendessen, sagte sie sich mit einem erleichterten Seufzer, werde ich ihn Lord Penwyck übergeben.
22. KAPITEL
Obwohl Lord Penwyck erfreut schien, dass Tessa seiner Bitte nachgekommen war, las er den Essay nicht sofort und sagte auch nicht viel dazu.
Als sie am nächsten Morgen beim Frühstück saßen, fragte er Tessa jedoch, ob sie Lust habe, ihn am Nachmittag zu einer Sitzung des Oberhauses zu begleiten.
Tessa traute kaum ihren Ohren. »Sie wollen, dass ich Sie ins Parlament begleite?«
Penwyck grinste. »Besucher sind auf der Galerie erlaubt.
Es ist gar nicht so selten, dass interessierte Zuhörer die Debatten verfolgen.«
»Ohh!«
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