Coraline
ins Gesicht und schob den fahlen Lehm hin und her, sodass so etwas wie eine Nase entstand. Es sagte nichts.
»Ich suche meine Eltern«, sagte Coraline. »Und die geraubte Seele von einem der anderen Kinder. Sind sie hier unten?«
»Hier unten ist nichts«, sagte das bleiche Ding undeutlich. »Nichts als Staub und Moder und Vergessen.«
Das Ding war weiß und riesig und aufgequollen. Monströs, dachte Coraline, aber auch bedauernswert. Sie hielt sich den Stein mit dem Loch in der Mitte vors Auge und sah hindurch. Nichts. Das bleiche Ding hatte die Wahrheit gesagt.
»Du Armer«, sagte sie. »Dass du hier nach unten verbannt wurdest, war doch bestimmt die Strafe dafür, dass du mir so viel erzählt hast.«
Das Ding zögerte und nickte dann. Coraline fragte sich, wie sie sich jemals hatte einbilden können, dass dieses Madending Ähnlichkeit mit ihrem Vater hätte.
»Es tut mir so leid«, sagte sie.
»Sie ist nicht gerade erfreut«, sagte das Ding, das einmal ihr anderer Vater gewesen war. »Ganz und gar nicht erfreut. Du hast sie sehr verstimmt. Und wenn sie verstimmt ist, lässt sie ihre Wut an jemand anderem aus. So ist sie nun mal.«
Coraline strich ihm über den haarlosen Kopf. Die Haut war so klebrig wie warmer Brotteig. »Armes Ding«, sagte sie. »Du bist nur etwas, was sie gemacht und dann wieder weggeworfen hat.«
Das Ding nickte heftig. Und als es nickte, fiel das linke Knopfauge heraus und landete klappernd auf dem Zementboden. Mit seinem einen Auge sah sich das Ding mit leerem Blick um, als hätte es sie verloren. Schließlich sah es sie, machte mit sichtlicher Mühe noch einmal den Mund auf und sagte mit nasser, drängender Stimme: »Lauf, Kind. Lauf weg von hier. Sie will, dass ich dir etwas antue und dich für immer hier festhalte, damit du das Spiel nicht beenden kannst und sie gewinnt. Sie setzt mich unter Druck, dass ich dir etwas antun soll. Ich kann mich gegen sie nicht wehren.«
»Doch, du kannst«, sagte Coraline. »Sei tapfer.«
Sie sah sich um. Das Ding, das einmal ihr anderer Vater gewesen war, befand sich zwischen ihr und den Treppenstufen, die aus dem Keller hinausführten. Sie schob sich an der Wand entlang, auf die Treppe zu. Das knochenlose Ding wand und drehte sich, bis sein eines Auge wieder auf sie geheftet war. Es schien jetzt größer zu werden und auch wacher. »Ach!«, sagte es. »Das kann ich nicht.«
Und es machte quer durch den Keller einen Satz auf sie zu, den zahnlosen Mund weit aufgerissen.
Coraline hatte einen einzigen Herzschlag lang Zeit, um zu reagieren. Ihr fielen nur zwei Möglichkeiten ein. Entweder konnte sie schreien und weglaufen und sich von dem riesigen Madending durch den schlecht beleuchteten Keller hetzen lassen, so lange, bis es sie erwischt hatte. Oder sie konnte etwas anderes tun.
Deshalb tat sie etwas anderes.
Als das Ding bei ihr angekommen war, streckte Coraline die Hand aus und schloss sie um das noch verbliebene Knopfauge des Dings. Und sie riss so fest daran, wie es nur irgend ging.
Einen Augenblick lang geschah gar nichts. Dann ging das Knopfauge ab. Es flog ihr aus der Hand und prallte klappernd gegen die Wände, bevor es zu Boden fiel.
Das Ding blieb wie erstarrt stehen. Blicklos und blind warf es den bleichen Kopf zurück, riss den Mund entsetzlich weit auf und schrie seinen Zorn und die Enttäuschung heraus. Dann, urplötzlich, stürzte das Ding auf die Stelle zu, wo Coraline gestanden hatte.
Doch Coraline stand nicht mehr dort. Sie schlich bereits auf Zehenspitzen, so leise sie nur konnte, die Treppe hinauf, die sie aus dem düsteren Keller mit seinen grob skizzierten Bildern an den Wänden hinausführen würde. Sie konnte den Blick jedoch nicht von dem Boden unter ihr losreißen, wo ein bleiches Ding zappelnd um sich schlug und Jagd auf sie machte. Dann, als hätte es Anweisungen erhalten, was es tun sollte, blieb das Wesen still stehen und neigte den blinden Kopf zur Seite.
Es lauscht, ob es mich hören kann, dachte Coraline. Ich muss jetzt ganz besonders leise sein. Und sie stieg die nächste Stufe hoch, ihr Fuß rutschte ab und das Ding hörte sie.
Der Kopf neigte sich in ihre Richtung. Einen Augenblick lang schwankte das Ding und es war, als suchte es seine Sinne zusammen. Dann glitt es so schnell wie eine Schlange auf die Treppe zu und ergoss sich über sie, auf Coraline zu.
Coraline machte kehrt, raste wie wild die letzten sechs Stufen hinauf und stemmte sich zum Fußboden des staubigen Schlafzimmers hoch. Ohne die
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