Coraline
wird uns nicht gehen lassen«, sagte Coraline.
»Das ist ihr zuzutrauen«, räumte der Kater ein. »Wie gesagt, es gibt keine Garantie, dass sie sich an die Spielregeln halten wird.« Und dann hob er den Kopf. »Hallo – hast du das gesehen?«
»Was denn?«
»Sieh hinter dich«, sagte der Kater.
Das Haus war noch flacher geworden. Jetzt sah es nicht mal mehr wie ein Foto aus, sondern eher wie eine Zeichnung, eine grobe Kohleskizze von einem Haus, auf graues Papier hingekritzelt.
»Was auch passieren mag«, sagte Coraline, »auf jeden Fall vielen Dank für deine Hilfe mit der Ratte. Ich schätze, ich hab’s fast geschafft, oder? Mach du dich also in den Nebel davon oder wohin du eben gehst – und ich, na, ich hoffe, dass ich dich zu Hause wieder sehe. Wenn sie mich nach Hause lässt.«
Der Kater sträubte das Fell und die Schwanzhaare waren so steil aufgerichtet, dass der Schwanz wie der Besen eines Schornsteinfegers aussah.
»Was ist los?«, fragte Coraline.
»Sie sind weg«, sagte der Kater. »Sie sind nicht mehr da. Die Ein-und Ausgänge von diesem Ort hier. Alles wurde platt gemacht.«
»Ist das schlimm?«
Der Kater senkte den Schwanz und peitschte ihn zornig hin und her. Ganz hinten in der Kehle gab er ein leises Knurren von sich. Er ging im Kreis, bis sein Gesicht von Coraline abgewandt war, und dann kam er wieder zurück, steifbeinig, einen Schritt nach dem anderen, bis er gegen Coraline stieß und ihr um die Beine strich. Sie langte nach unten und streichelte ihn und dabei konnte sie spüren, wie heftig sein Herz schlug. Er zitterte wie ein welkes Blatt im Sturm.
»Dir passiert nichts«, sagte Coraline. »Alles wird gut. Ich bring dich nach Hause.«
Der Kater schwieg.
»Komm mit, Kater«, sagte Coraline. Sie trat einen Schritt zurück, zur Treppe hin, aber der Kater blieb, wo er war. Er schaute jämmerlich drein und wirkte seltsamerweise viel kleiner.
»Wenn der einzige Weg hier heraus an ihr vorbeiführt«, sagte Coraline, »dann gehen wir eben dort entlang.« Sie ging zum Kater zurück, bückte sich und hob ihn hoch. Der Kater leistete keinen Widerstand. Er zitterte nur. Sie stützte ihn mit einer Hand am Hinterteil und legte sich seine Vorderbeine auf die Schultern. Der Kater war schwer, aber nicht so schwer, dass sie ihn nicht hätte tragen können. Er leckte ihr über die Handfläche, wo Blut aus der Schürfwunde quoll.
Stufe für Stufe stieg Coraline die Treppe hoch, wieder in ihre Wohnung zurück. Sie war sich der Murmeln bewusst, die in ihrer Tasche klapperten, sie war sich des Steins mit dem Loch in der Mitte bewusst und des Katers, der sich an sie schmiegte.
Sie kam an der Wohnungstür an, die jetzt nur noch ein Kindergekrakel von einer Tür war, und stieß kräftig dagegen. Fast rechnete sie damit, dass ihre Hand hindurchstoßen würde und dahinter nichts als schwarze Dunkelheit mit ein paar vereinzelten Sternen wäre.
Aber die Tür ging auf und Coraline trat hindurch.
11 .
I n ihrer Wohnung oder vielmehr in der Wohnung, die nicht ihre Wohnung war, stellte Coraline erfreut fest, dass sich dort im Gegensatz zum Rest des Hauses nicht alles in so eine leere Kritzelzeichnung verwandelt hatte. Die Wohnung hatte Tiefe und dunkle Schatten und jemanden, der in den dunklen Schatten stand und auf Coralines Rückkehr wartete.
»Da bist du ja wieder«, sagte ihre andere Mutter. Sie hörte sich nicht erfreut an. »Und du hast Ungeziefer mitgebracht.«
»Nein«, sagte Coraline. »Ich habe einen Freund mitgebracht.« Sie konnte spüren, wie der Kater unter ihren Händen ganz starr und steif wurde, als wollte er unbedingt weg hier. Am liebsten hätte Coraline sich an ihm festgeklammert wie an einem Teddybären, aber sie wusste, wie ungern Katzen sich drücken lassen, und sie hatte den Verdacht, dass verängstigte Katzen zum Kratzen und Beißen neigten, wenn sie gereizt wurden. Auch dann, wenn sie eigentlich zu einem hielten.
»Du weißt, dass ich dich liebe«, sagte die andere Mutter mit matter, ausdrucksloser Stimme.
»Da hast du aber eine komische Art, es zu zeigen«, sagte Coraline. Sie ging den Flur entlang, ganz gleichmäßig, Schritt um Schritt, und sie tat so, als könnte sie nicht die leeren schwarzen Augen der anderen Mutter spüren, die sich in ihren Rücken bohrten. Dann bog sie in die gute Stube ab. Die steifen Möbel ihrer Großmutter waren noch da und an der Wand hing das Bild mit dem seltsamen Obst, aber jetzt war das Obst auf dem Gemälde aufgegessen und in der Schale lag
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