Corbins 04 - Wer den Weg des Herzens folgt...
Schlamm.
Gelächter ertönte von beiden Seiten
des Bürgersteigs, aber das irritierte sie nicht. Sie sah nur die beiden bestiefelten
Füße, die auf sie zukamen, während sie sich vom Boden aufrappelte. Als Quinn
ihre Schultern umfaßte, zappelte sie wild und versuchte sich loszureißen.
Quinn fluchte ärgerlich und hob sie
auf seine Arme. Eine gefährliche Röte breitete sich auf seinem Nacken und um
sein Kinn aus, als er Melissa unter dem mehr oder weniger diskreten Gelächter
der Umstehenden zur Kutsche trug. Diesmal stieg auch er mit ein.
»Ich sollte dir den Hintern
versohlen!« rief er wütend.
Melissa untersuchte gelassen die
Schmutzflecke an ihrem Kleid. »Das würde ich dir nicht raten«, sagte sie
warnend.
Quinn verschränkte die Arme. »Nun?«
sagte er auffordernd.
»Nun was?«
»Du hast deinen Willen durchgesetzt
— ich habe dich nicht allein nach Hause geschickt. Aber kannst du mir sagen,
was du dir davon erhofft hast, mich vor der ganzen Stadt zu blamieren?«
Melissa saß so würdevoll auf ihrem
Platz wie eine Prinzessin auf dem Weg zu einem Ball. »Wir hatten eine Abmachung
getroffen, bevor wir heirateten, Mister Rafferty, und dazu gehört nicht, Gillian
nachzuhecheln.«
Er wirkte aufrichtig beleidigt.
»Nachhecheln? Ich wollte doch nur ...«
»Du wirst dir keine Mätresse halten,
Quinn«, unterbrach Melissa ihn streng. »Jedenfalls nicht, solange du mit mir
verheiratet bist.«
»Na wunderbar! Dann werden wir eben
die Bedingungen ändern, die unsere getrennten Schlafzimmer betrifft, und du
ziehst bei mir ein ... Mrs. Rafferty.«
Melissa schüttelte den Kopf. »Tut
mir leid, das ist unmöglich«, erwiderte sie steif.
Quinn starrte sie an. »Was ist aus
meiner willigen Braut geworden?« fragte er gedehnt. »Oder bist du nicht die
Frau, die sich rückwärts auf mein Bett geworfen und mich aufgefordert hat,
endlich anzufangen?«
Melissas aufgesetzte Tapferkeit
begann nachzulassen. Die Szene vor dem Bahnhof war peinlich genug gewesen.
»Sprich leiser!« flüsterte sie ärgerlich.
»Ich denke nicht daran!« brüllte
Quinn. »Und ich wäre dir dankbar, wenn du aufhören würdest, mir zu sagen, was
ich zu tun habe und wann!«
In diesem Augenblick war es um
Melissas Beherrschung geschehen. Vielleicht war es der Spannung der letzten
Tage zuzuschreiben; vielleicht der Einsicht, zu übereilt gehandelt zu haben.
Jedenfalls sprang sie auf und stürzte sich fauchend wie eine wütende Katze auf
Quinn.
Quinn parierte ihren Angriff
mühelos, entschieden, aber zärtlich, und schließlich lag Melissa rücklings auf
seinem Schoß, beide Handgelenke fest in seinem Griff. Er schaute mit funkelnden
Augen auf sie herab, und Melissa begann sich schon zu fürchten. Doch dann
senkte er den Kopf und küßte sie mit so unglaublicher Zärtlichkeit, daß sie das
Gefühl hatte, er habe es auf ihre Seele abgesehen ...
Sie versuchte sich zu wehren, bis
sie seine Hand auf ihrer Brust spürte, der Kuß intensiver wurde und ihr
Widerstand verblaßte. Plötzlich war sie nichts als eine willige Gefangene in
seinen Armen ...
Vier
Quinns großes Haus war weiß angestrichen
und in englischem Stil gehalten. Es hatte eine phantastische Aussicht auf die
Bucht. An einem Ende des Hauses entdeckte Melissa sogar einen Wachtturm, der
jenen ähnlich war, die sie in Büchern über europäische Schlösser gesehen hatte.
Unter anderen Umständen wäre Melissa
begeistert gewesen. Aber so, wie die Lage war, sah sie sich schon als Gefangene
in diesem Turm. Der leidenschaftliche Kuß in der Kutsche hatte Quinns Stimmung
nicht verändert — er war auf kalte, erschreckende Weise wütend.
Melissa war ganz seltsam zumute. Sie
wünschte, es möge anders sein zwischen ihr und ihrem Mann, doch sie wußte
nicht, wie sie einen solchen Wechsel herbeiführen sollte. Im Zug, als sie
versucht hatte, ihn zu verführen, hatte er sie ausgelacht. Dann, nachdem er
seiner Geliebten nacheilen wollte und Melissa eine ganz natürliche Eifersucht
bewiesen hatte, war er wütend geworden.
Sie hatte keine Ahnung, wie sie es
ihm recht machen sollte, obwohl sie gar nicht sicher war, daß er es überhaupt
verdiente. Während er ihr aus der Kutsche half, hielt sie den Kopf stolz
erhoben und ließ sich auf sein Haus zuführen.
Die Eingangstür war ein Kunstwerk in
sich selber, aus kostbarem dunklen Holz und mit herrlichen Schnitzereien
versehen. Das große Fenster in der Mitte war aus buntem Glas und stellte
irgendein Bild dar. Aber Melissa hatte keine Zeit, es
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