Corbins 04 - Wer den Weg des Herzens folgt...
Erstaunen schlief sie fest
und tief. Es mußte schon fast Abend gewesen sein, als ein sanftes Rütteln an
der Schulter sie aus ihren Träumen riß.
»Mrs. Rafferty! Mrs.
Rafferty!«Melissa richtete sich verschlafen auf und blickte in Helgas
besorgtes Gesicht. »Wo ist mein Mann?«
»Er läßt Ihnen ausrichten, Sie
sollten zum Dinner in das neue Hotel kommen«, erklärte Helga strahlend.
Melissa war den Tränen nahe. Seit
Tagen hatte sie Quinn nicht mehr gesehen, und nun machte er sich nicht einmal
die Mühe, nach Hause zu kommen und sie zu begrüßen! Was nur wieder einmal bewies,
wie wenig er für sie übrighatte.
Helga hatte Tee mitgebracht und
schenkte Melissa eine Tasse ein. »Danach werden Sie sich besser fühlen. Sie
können doch nicht mit diesem Gesicht zu der Feier gehen.«
Melissa seufzte. Lieber wäre sie zu
Hause geblieben und hätte sich im Bett versteckt, aber sie durfte die Party
nicht verpassen. Sie war zu wichtig — für sie und Quinn.
Später, als Melissa gebadet und sich
mit dem Parfüm besprüht hatte, das sie von Port Hastings mitgebracht hatte,
fühlte sie sich etwas besser. Sie bürstete ihr langes Haar, bis es glänzte, und
steckte es dann zu einer komplizierten, sehr eleganten Frisur auf.
Es gelang ihr sogar, ihr
lavendelfarbenes Seidenkleid zuzuknöpfen, aber die Anstrengung verschlechterte
ihre Laune so sehr, daß sie Quinn, der kurz darauf erschien und helfen wollte,
anfuhr: »Das kann ich auch allein!«
Obwohl seine Augen sich vor Zorn
verdunkelten, beugte er sich galant über ihre Schulter und küßte ihre zarte
Haut. »Du bist müde«, sagte er. »Ich hätte Verständnis dafür, wenn du mich
nicht zu der Feier begleiten willst.«
Melissa drehte sich zu ihm um, weil
sie Frieden suchte. »Liebst du mich, Quinn?« fragte sie schüchtern.
Diesmal konnte kein Zweifel
bestehen, daß er sie gehört hatte. Er ließ die Arme sinken und warf ihr einen
verwunderten Blick zu. »Ob ich was?« entgegnete er.
»Liebst du mich?« wiederholte
Melissa.
Quinn seufzte, streckte die Arme
nach ihr aus und ließ sie wieder sinken. »Ich weiß es nicht«, gab er zu. »Ich
empfinde etwas, ja, aber ob das Liebe ist . .«
Melissa dächte an die Frau, die ihr
Wasser gebracht hatte, als ihr auf dem Bahnsteig übel geworden war. Wenn diese
Frau recht hatte und sie wirklich ein Baby erwartete, dann stand diesem Kind
eine düstere Zukunft bevor. Melissa senkte den Blick, um die Tränen zu verbergen,
die ihr in letzter Zeit nur allzu schnell in die Augen schossen. »Ich
verstehe«, sagte sie leise.
»Nein, das glaube ich nicht«,
widersprach Quinn gepreßt. »Aber darüber können wir später reden.« Zum ersten
Mal fiel Melissa auf, daß er einen sehr eleganten Frack trug. »Sonst kommen wir
noch zu spät zum Essen.«
Melissas Zorn über Quinns Reaktion
stärkte sie mehr, als alles andere gekonnt hätte. Jetzt wußte sie, was Quinn
wirklich etwas bedeutete — das Hotel — und konnte sich ihr Leben entsprechend
danach einrichten.
Das erste, was sie lernen mußte,
war, ohne Liebe auszukommen.
Vierzehn
Der Speisesaal von Quinns neuem Seaside
Hotel war riesengroß und gefüllt mit Gästen und Gratulanten. Melissa
setzte ein strahlendes Lächeln auf, winkte ihrer Freundin Dana zu und tat, als
wäre alles in bester Ordnung, als Quinn sie zu ihrem Tisch führte. Gillian, die
rechts neben ihm saß, bedachte Melissa mit einem knappen Nicken und verschlang
dann Quinn mit ihren großen, veilchenblauen Augen.
Unter anderen Umständen hätte
Melissa keine Schwierigkeiten gehabt, die Haltung einzunehmen, die ihr von
Kindesbeinen an beigebracht worden war. Aber sie war müde, hatte Angst,
schwanger zu sein, und fühlte sich vollkommen allein auf dieser Welt. Diese
drei Elemente bewirkten, daß sie nicht auf ihr gewohntes Selbstbewußtsein
zurückgreifen konnte.
Quinn versuchte mehrmals, eine
Unterhaltung mit ihr zu beginnen, aber sie starrte nur düster auf ihren Teller
und schob seinen Inhalt mit der Gabel von einer Seite zur anderen. Obwohl ihre
Übelkeit nachgelassen hatte, war sie noch weit davon entfernt, Appetit zu
empfinden.
Irgendwann wandte Quinn sich an
Gillian, die bereitwillig mit ihm zu plaudern begann, und ihr helles, melodisches
Lächeln steigerte Melissas Wut, bis ihre Gleichgültigkeit nachzulassen begann.
Als das Mahl endlich beendet war und die Kapelle zum Tanz aufzuspielen begann,
kochte Melissa innerlich vor Zorn.
Quinn nahm seine Frau bei der Hand
und zog sie in eines der Büros. Dort
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