Corbins 04 - Wer den Weg des Herzens folgt...
Bahndamm
kennengelernt hast.« Sie hielt inne, als sie Quinns drohende Blicke sah, doch
dann platzte sie heraus: »Du bist halb krank vor Sorge um deine kleine Hexe,
was? Aber wo war deine Sorge, Quinn, als ich vor siebzehn Jahren fortgehen
mußte, um in aller Stille dein Baby zu bekommen?«
Seit langer Zeit hatte keiner von
beiden das Thema berührt, und Quinn ärgerte sich, daß Gillian es jetzt aufbrachte.
»Ich war sechzehn, als es passierte«, erwiderte er kühl. »Und glaub mir, ich
habe mir Sorgen gemacht — vor allem, nachdem mein lieber Vater es herausfand
und mich in trunkener Wut halb tot schlug. Aber was hätte ich machen sollen —
außer dich zu bitten, mich zu heiraten? Was du abgelehnt hast, wie du dich
sicher erinnern wirst.«
»Ich war erst fünfzehn!« rief
Gillian empört.
Quinn stand auf und trat ans
Fenster, wo er tief die frische Luft in seine Lungen sog. Er fühlte sich
bedroht wie ein Reh zwischen Wölfen, und wußte, daß er einen Traum opfern
mußte, um zu überleben. »Ich möchte aussteigen, Gillian«, sagte er ruhig.
»Aussteigen?« rief sie ungläubig und
verletzt. »Wie meinst du das?«
Er drehte sich zu ihr um. »Ich biete
dir an, meinen Anteil am Hotel zu kaufen.«
Gillian starrte ihn an. »Aber das
würde unsere letzte Bindung zerstören, abgesehen von ...«
»Abgesehen von Mary«, schloß Quinn
ruhig. »Es geht nicht anders, Gillian.«
Ihre veilchenblauen Augen schimmerten
feucht. »Warum?« flüsterte sie verzweifelt.
»Weil ich meine Frau liebe«,
antwortete Quinn, und die Worte überraschten ihn genauso sehr wie Gillian.
Sie schluckte sichtlich und nickte
dann. »I-ich werde mir dein Angebot überlegen«, sagte sie, griff nach ihrer
Handtasche und ging hinaus.
Mary hielt sich mit beiden Händen am
Geländer fest, als sie vorsichtig die Treppe hinunterstieg. Ihr schönes Gesicht
glühte vor Stolz. »Siehst du, Quinn? Schaust du zu? Ich kann es schon allein —
das und noch viel mehr!«
Während Quinn seine bezaubernde
Tochter betrachtete, die in dem Glauben aufgewachsen war, seine Schwester zu
sein, wurde seine Kehle eng. »Natürlich schaue ich zu«, sagte er gepreßt. »Ich
kann meinen Blick gar nicht von dir abwenden, Mary.«
Sie hatte den Fuß der Treppe
erreicht und streckte beide Arme nach Quinn aus. Er zog sie an sich, und sie
umarmte ihn stürmisch. Ihr weiches, blondes Haar, Gillians so ähnlich, lag wie
Seide an seiner Wange.
Doch dann schob er Mary zurück und
bemühte sich um einen strengen Ton. »Ich kann mich nicht entsinnen, dir
gestattet zu haben, die Schule zu verlassen.«
Mary lachte, ihre blinden braunen
Augen funkelten trotzig. »Ich habe alles gelernt, was diese Leute mir beibringen
konnten«, antwortete sie. »Ich will jetzt in Port Riley bleiben.«
»Darüber sprechen wir später.« Quinn
legte einen Arm um Marys Taille und führte sie die Treppe hinauf. Er wollte sie
seiner Frau vorstellen oder Mary wenigstens sagen, daß er eine hatte ...
Doch es stellte sich heraus, daß Helga
ihm schon zuvorgekommen war. »Das Mädchen hat mir gesagt, du hättest
geheiratet«, sagte Mary. Es klang verletzt, aber dann schob sie ihr Kinn vor
und fügte hinzu: »Ich bin nur froh, daß es nicht diese unmögliche Gillian ist.
Ich mag sie nicht.«
Die Ironie der Situation veranlaßte
Quinn zu einem Lächeln. Dann erklärte er Mary behutsam, wie es zu seiner
Heirat gekommen war. Seit ihrem Unfall vor einem Jahr und ihrer Erblindung
neigte Mary sehr zu Gefühlsausbrüchen, und er wollte sie nicht aufregen. »Vielleicht
wirst du Melissa auch nicht mögen«, neckte er sie, als sie den oberen Korridor
erreichten.
Mary schüttelte den Kopf. »Eine
Frau, die Männerhosen trägt und sich eine Druckerpresse kauft, muß man einfach
mögen«, erklärte sie entschieden.
Er wollte gerade an seinem
Schlafzimmer anklopfen, als Helga aus einem anderen Zimmer kam und sagte:
»Wecken Sie sie bitte nicht auf, Mister Rafferty! Sie ist völlig geschafft.«
»Dann sehen wir sie später«, stimmte
Mary bereitwillig zu. »Jetzt wird es Zeit, daß Tantchen mir aus Shakespeares
Sonetten vorliest.«
Quinn führte Mary in ihr eigenes
Zimmer und wurde mit einem düsteren Blick von seiten seiner Tante bedacht. Sie
saß in einem Schaukelstuhl am Feuer, eine hagere Frau mit schütterem roten Haar
und einem schlichten Kleid aus blauem Kattun.
Quinn verneigte sich vor ihr und
wollte schon hinausgehen, als sie ihn mit einer gebieterischen Geste zurückhielt.
»Dein Bruder und ich haben
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