Corbins 04 - Wer den Weg des Herzens folgt...
Vater.«
Melissa ließ sich betroffen auf der
Bettkante nieder. »Weiß Quinn das?«
Charlotte schüttelte den Kopf. »Ich
glaube nicht — und ich werde es ihm auch nicht sagen. Sonst denkt er noch, ich
wollte etwas von ihm haben.«
»Und warum erzählen Sie es mir?«
Charlotte ließ den Kopf hängen. »Es
war immer ein Geheimnis. Vielleicht mußte ich mich einfach mal jemandem
anvertrauen ...«
Das konnte Melissa verstehen, und
mit Rücksicht auf Charlottes Gefühle wechselte sie das Thema. »Das Haus ist in
einem entsetzlichen Zustand«, sagte sie. »Aber falls Sie wirklich arbeiten
wollen, dann kommen Sie morgen früh um acht.«
Charlotte bedankte sich erfreut und
ging, während Melissa verwirrt zurückblieb und sich mit tausend Fragen quälte,
die alle Eustice Rafferty betrafen.
Gegen sechs ging sie — in
pfirsichfarbene Seide gekleidet — in die Halle hinunter. Der einzige Schmuck,
den sie trug, war ein goldenes Medaillon, das Jeff ihr zum sechzehnten
Geburtstag geschenkt hatte: ihr Haar war zu einem weichen Chignon aufgesteckt.
Ajax, ebenfalls sehr attraktiv in einem eleganten Abendanzug, maß Melissa mit
anerkennenden Blicken.
»Ah, Schneewittchen, ich sehe, daß
du die letzten Stunden gut genutzt hast«, meinte er lächelnd.
Melissa lachte und ließ sich von ihm
hinausbegleiten. Doch zu ihrer maßlosen Verblüffung war es keine Kutsche, die
auf sie wartete, sondern ein Automobil, umringt von neugierigen Passanten, die
gaffend zuschauten, wie Ajax Melissa auf die Ledersitze half. Nach einer kurzen
Verbeugung kletterte er hinter das Steuer und setzte eine Lederkappe und eine
merkwürdige Brille auf, mit der er wie ein exotisches Insekt aussah.
Melissa schlug sich lachend die Hand
vor den Mund. Als der Wagen mit einem Satz anfuhr, applaudierten die Zuschauer
begeistert.
»Wo hast du das denn her?« rief
Melissa entzückt. »Bestellt!« schrie Ajax zurück. »Aber eigentlich nur, um dich
zu beeindrucken!«
Das Automobil brachte sie ohne
Zwischenfälle zu Quinns elegantem neuem Hotel, wo sich wieder eine
Zuschauermenge versammelte, als Ajax den Wagen parkte. Ganz vorne in der Menge
stand, Gillian an seiner Seite, Quinn Rafferty.
Melissa ließ sich mit hochmütiger
Miene von Ajax aus dem Wagen helfen, lächelte herablassend in Quinns dunkle
Augen, als sie an ihm vorbeiging, und heuchelte gespanntes Interesse für Ajax'
Prahlerei, das erste Automobil zu besitzen, das je Port Rileys Straßen
befahren hatte.
Es war bereits dunkel, als Ajax und
Melissa beim Dinner saßen, immer wieder unterbrochen von eifrigen
Stadtbewohnern, die Ajax zu seiner chromglänzenden Errungenschaft gratulieren
wollten. Quinn hielt sich auf verdächtige Weise fern: Melissa sah ihn erst
wieder, als im Ballsaal zum Tanz aufgespielt wurde.
Im Bewußtsein, Gegenstand des
allgemeinen Klatsches zu sein, betrat sie den festlich erleuchteten Saal in der
Haltung einer Prinzessin, die gekommen war, um hofzuhalten ...
Schon beim ersten Walzer konnte sie
Quinns Blicke spüren, doch erst, als sie mit Ajax an den offenen Terrassentüren
vorbeitanzte, sah Melissa ihn. Er stand an die Marmorbrüstung gelehnt, eine
Zigarre zwischen den Lippen, und starrte in den dunklen Garten hinaus.
Als sie zum zweiten Mal
vorbeitanzten, war Quinn verschwunden, was eine seltsame Traurigkeit in Melissa
auslöste. Unter dem Vorwand, ihre Nase zu pudern, zog sie sich in den Waschraum
zurück, wo sie lange blieb und versuchte, mit den Erinnerungen fertig zu
werden, die dieses Hotel in ihr wachrief ...
Quinn stand in der Halle, als
Melissa aus dem Waschraum kam, und bot ihr lächelnd den Arm. Für einen Moment
stockte ihr der Atem, so attraktiv war er in seinem mitternachtsblauen Anzug,
doch seine Geste lehnte sie trotzdem ab, was ihn zu einem belustigten Lachen
veranlaßte.
»Da bin ich so nett, dir über eine
so peinliche Situation hinwegzuhelfen — und du weist mich ab!« bemerkte er mit
gespielter Empörung.
»Welche peinliche Situation?«
Melissa war bemüht, Distanz zu Quinn zu halten, weil sie sehr gut wußte, was
dieser Mann mit ihren Sinnen anrichtete, wenn sie ihn zu nahe kommen ließ.
Er zuckte die Schultern. »Gern sage
ich es dir nicht, aber dein ... Freund hat dich sitzenlassen, um mit einer
anderen Dame einen Ausflug in seinem Automobil zu unternehmen. Die Dame ist
übrigens Gillian.«
Melissa errötete vor Zorn. »Ich
wünsche ihnen viel Spaß dabei«, erwiderte sie steif und mit dem Gefühl, schon
wieder eine Demütigung erlitten zu
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