Corbins 04 - Wer den Weg des Herzens folgt...
eine
Zeitung zu gründen.«
»Ein Darlehen?« Mister Crowleys
winziger Schnurrbart zuckte.
»Aber Miss Corbin. Sie haben doch ...«
»Ich weiß, wieviel Geld ich habe,
Mister Crowley«, unterbrach Melissa ihn kühl. »Ihre Bank geht kein Risiko ein,
da mein Treuhandfonds ausreicht, um Ihre Bank gleich mehrmals aufzukaufen.«
Der kleine, hagere Mann spreizte die
Hände. »Sie haben natürlich recht, Mrs. — äh, Miss Corbin. Haben Sie eine
schriftliche Aufstellung der anfallenden Kosten gemacht?«
Melissa nickte und reichte ihm eine
Akte.
»Gute Arbeit«, gab er widerstrebend
zu, als er die Zahlenreihen überflogen hatte. »Hat Ihnen jemand dabei
geholfen?«
Zu jedem anderen Zeitpunkt wäre
Melissa beleidigt gewesen über die Annahme, so etwas nicht selbst erstellen zu
können. Aber müde, wie sie war, schüttelte sie nur den Kopf.
Mister Crowley ordnete die Papiere
und legte seine gefalteten Hände darauf. Dann räusperte er sich umständlich.
»Es ist Ihnen natürlich bewußt, daß sich dieses Haus, das Sie für Ihre
Redaktion gewählt haben, im heruntergekommensten Teil der Stadt befindet?«
Natürlich wußte Melissa das. Das
Gebäude hatte einst einen Saloon beherbergt und war von ähnlichen Etablissements
umgeben. »Es gibt leider nicht viele leerstehende Gebäude in dieser Stadt«,
entgegnete sie sachlich.
Wieder war Mister Crowley gezwungen,
ihr recht zu geben. Er nickte seufzend und sagte: »Ich lasse Ihren Fonds an
meine Bank überweisen und einen Kredit für Sie eröffnen, damit Sie gleich
beginnen können.«
Melissa fühlte sich zum ersten Mal
seit einer Woche ein wenig ermutigt. Sie dankte dem kleinen Bankier und
schüttelte ihm die Hand. Nun konnte sie endlich ihre Druckerpresse aus Quinns
Haus abholen lassen, zusammen mit ihren restlichen Kleidungsstücken. Wenige
Stunden später betrat Melissa mit Besen und Schaufel in der Hand die
ehemaligen Räumlichkeiten des Rip Snorting Saloons. Ihre Freundin Dana
und ein junger Mann, der im Laden ihres Onkels aushalf, trugen den Rest ihrer
Einkäufe.
Der junge Mann pfiff durch die
Zähne, als er die Spinnnweben sah, die von der Decke auf die lange Bar
herabhingen. Dahinter befand sich ein großer Spiegel, aber er war so
verschmutzt, daß nichts darin zu erkennen war.
Dana stellte den Karton mit
Lebensmitteln auf einen Billardtisch, von dem sich eine Wolke von Staub erhob.
»Hier willst du doch nicht etwa leben!« rief sie entsetzt.
»Selbstverständlich.« Melissa gab
sich zuversichtlicher, als sie sich fühlte. »Es muß nur ein bißchen saubergemacht
werden, dann ist es schon in Ordnung.«
In der Nähe erklang das laute Grölen
eines Betrunkenen, gefolgt von schrillem Gelächter. Melissa hoffte, daß ihre
Freundin ihr Erschauern nicht gesehen hatte.
»Manchmal glaube ich, Mister
Rafferty hat recht!« verkündete Dana plötzlich streng.
Melissa verschränkte die Arme. »So?
Was sagt er denn, und woher weißt du es überhaupt?«
Der Botenjunge schlüpfte aus der
Hintertür, und Dana wartete, bis er verschwunden war. »Mister Rafferty war
gestern bei mir«, sagte Dana dann. »Wußtest du, daß er beabsichtigt, neue
Unterkünfte für Frauen und Familien in der Nähe des Holzfällerlagers zu bauen?
Und daß er auch eine Schule einrichten will?«
Melissa war gerührt, aber das hätte
sie sich nie anmerken lassen. »Was hat er über mich gesagt?« fragte sie nur.
»Daß du stur bist wie ein Ochse«,
erwiderte Dana mit sichtlicher Befriedigung, »und eine ordentliche Tracht
Prügel verdient hättest.«
Das Blut schoß Melissa in die
Wangen. »So«, sagte sie nur.
Dana seufzte. »Gib dieses alberne
Spiel auf, Melissa, und geh zu deinem Mann zurück.«
»Mister Rafferty ist nicht mein
Mann.« Melissa biß sich auf die Lippen, um ihre Tränen zurückzuhalten. »Er ist
es nie gewesen.«
»Aber er liebt dich!«
»Klar, deshalb spricht er auch so
über mich — nennt mich einen Ochsen und behauptet, ich verdiente Prügel!«
Dana verdrehte die Augen. »Mit dir ist
einfach nicht zu reden!« Sie schaute auf ihre Uhr. »Na schön, dann bleib hier —
zwischen Dreck und Ratten, ich habe etwas Besseres zu tun.«
Melissa schaute ihrer Freundin
seufzend nach. Dann wechselte sie ihr hübsches Kleid gegen eines der verschlissenen
Baumwollkleider, die sie in Spokane erhalten hatte, band sich ein Tuch
ums Haar und begann mit der Arbeit.
Sie hatte gerade den Spiegel
gereinigt und die Stühle aus dem Saloon in einen angrenzenden Schuppen getragen,
als Quinn
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