Corbins 04 - Wer den Weg des Herzens folgt...
so etwas zu verheimlichen!«
Keith ging seufzend zu seinem Platz
zurück. »Ich war auch sehr wütend auf die beiden, Melissa«, antwortete er
bedrückt. »Aber dann begann ich zu verstehen. Das wirst du auch, wenn du in
Ruhe darüber nachdenkst.«
Melissa dachte daran, wie sehr sie
nach ihres Vaters Tod um ihn getrauert hatte, und warf den Kopf zurück
und schrie auf vor Wut und Schmerz. Dann brach sie in Tränen aus und begann herzzerreißend
zu schluchzen. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich derart betrogen gefühlt.
Oder derart allein.
Quinn trat zurück, weil er spürte,
daß sie jetzt in Ruhe gelassen werden wollte. Als sie aufsprang und fluchtartig
den Raum verließ, folgte er ihr nicht.
Quinn bedauerte seinen Schwager fast so
sehr wie Melissa. Es war sicher nicht leicht für ihn, der Überbringer einer
solchen Nachricht zu sein, nachdem er selbst kaum Zeit gehabt hatte, sich von
seinem Schock zu erholen.
»Möchtest du einen Brandy?« fragte
er. »Du wirst ihn brauchen können. Melissa und ich haben dir nämlich auch ein
Geheimnis mitzuteilen.«
Nach dem ersten Schluck musterte
Keith Quinn prüfend und fragte: »So? Und das wäre?«
Quinn stürzte den Inhalt seines
Glases herunter und schenkte sich von neuem ein. »Wir sind nicht verheiratet,
und ich glaube, sie bekommt ein Kind.«
Krachend setzte Keith sein Glas ab. »Was?«
Quinn beeilte sich, ihm die näheren
Umstände ihrer Trauung in Seattle zu erklären und schwor Keith, keine Ahnung
gehabt zu haben, daß der Friedensrichter ein Betrüger war.
»Aber sie glaubt, du hättest sie
wissentlich getäuscht?«
»Anfangs ja«, antwortete Quinn
bedrückt. »Ob sie es jetzt noch glaubt, weiß ich nicht, weil wir uns nur noch
streiten.«
Zu Quinns Erstaunen lächelte Keith.
»Entweder liebt ihr euch, oder ihr streitet. Ein Zwischending gibt es wohl
nicht?«
Quinn nickte stumm.
»Das ist die Leidenschaft«, fuhr
Keith achselzuckend fort. »Ihr müßt lernen, euch zu beherrschen, das ist alles.
Aber das kommt schon mit der Zeit.«
Quinn schüttelte den Kopf. Er konnte
sich nicht vorstellen, seine Gefühle für Melissa je beherrschen zu können.
Das wäre nicht anders gewesen, als einen fahrenden Zug durch ein über die
Schienen gespanntes Seil anhalten zu wollen ...
Dreiundzwanzig
Melissa suchte Zuflucht in Quinns
Arbeitszimmer, kauerte sich in einen großen Sessel am Kamin und bedeckte mit
beiden Händen ihr Gesicht.
»Was haben Sie?« fragte ein zarte
Kinderstimme.
Melissa löste die Hände vom Gesicht
und entdeckte ein vier- oder fünfjähriges kleines Mädchen mit einer einäugigen
Puppe.
»Ich bin Margaret«, sagte die
Kleine. »Sie heißen Melissa, und Ihre Nase ist ganz rot vom Weinen.« »Hallo,
Margaret« sagte Melissa leise.
»Hat Mister Quinn Sie traurig
gemacht?« forschte die Kleine.
Melissa schüttelte den Kopf.
»Mein Daddy macht meine Mama immer
traurig«, fuhr Margaret fort, während sie näher auf Melissa zukam. »Einmal hat
er sie geschlagen, bis ihre Nase blutete. Aber Mama hat gesagt, wir brauchten
nicht mehr zu Daddy zurück — wir könnten hier in diesem schönen Haus leben.«
Die Worte des Kindes griffen Melissa
ans Herz; sie vergaß ihren eigenen Schmerz und legte einen Arm um Margaret.
»Ich hatte auch einmal eine solche Puppe«, meinte sie mit einem Blick auf das
schäbige Spielzeug. »Ich fand sie auf einem Feld und habe sie immer am meisten
von allen geliebt.«
Bevor Margaret etwas erwidern
konnte, kam Becky herein. »Stör Mrs. Rafferty nicht!« sagte sie und scheuchte
das kleine Mädchen hinaus.
Melissa hätte Margaret gern bei sich
behalten, aber sie wollte sich nicht einmischen. Als das Mädchen fort war,
versank Melissa wieder in Erinnerungen an ihren Vater, aber diesmal weinte sie
nicht. Wie bitter sie diese fünf Jahre bereute, die ihr gestohlen worden waren!
Irgendwann ging die Tür auf, und
Melissa versteifte sich, als Keith sie auf die Wange küßte. »Können wir jetzt
reden?«
Melissa seufzte nur, als er sich
einen Sessel heranzog.
Keith setzte sich und nahm Melissas
Hände. »Es tut mir leid, Kleines. Vielleicht hatte Adam recht, und ich hätte
dir nichts sagen sollen. Aber ich befürchtete, du könntest es eines Tages
herausfinden und uns dafür hassen, es dir nicht gesagt zu haben.«
Melissa biß sich auf die Lippen. Der
erste Schmerz hatte ein wenig nachgelassen, und sie begann nun zu begreifen,
welchem Dilemma Adam ausgesetzt gewesen war. Wahrscheinlich hätte sie an seiner
Stelle auch
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