Corellia 02 - Angriff auf Selonia
die doppelt so groß war wie die größte Kaverne, die er bisher gesehen hatte. Sie hatte die Größe einer unterirdischen Stadt und war genauso dicht bevölkert. Ein Hauch von Verzweiflung hing in der Luft – und das im wahrsten Sinn des Wortes. Da war wieder jenes pfefferige Aroma vieler selonianischer Körper, stärker als je zu vor, aber ein anderer Geruch mischte sich hinein, ein Ge ruch, bei dem es sich nur um Angstschweiß handeln konnte.
Han folgte Dracmus aus dem winzigen Seitentunnel und richtete sich unter Schmerzen auf. Jeder Quadratzentimeter seines Körpers tat weh. Er hatte sich noch immer nicht von den Prügeln erholt, die Dracmus ihm zu Thrackans Vergnü gen verabreicht hatte. Das war jetzt erst ein paar Tage her, und dennoch schien es mindestens ein halbes Leben zurück zuliegen. Diese Verletzungen wären schon schlimm genug gewesen, auch ohne die Torturen des Marsches durch die se lonianischen Tunnel. Es war fast ein Wunder, daß er sich überhaupt noch bewegen konnte. Aber trotz allem tat es un beschreiblich gut, wieder aufrecht zu stehen. Er streckte sich – und änderte seine Meinung abrupt, als stechende Schmerzen durch seinen Rücken jagten. So gut tat es nun doch nicht.
Aber er hatte keine Zeit, sich um seinen schmerzenden Rücken zu kümmern. Er sah sich um und bemerkte, daß es in der Menge eine große Zahl schwerverletzter Selonianer gab, von denen viele auf Tragen lagen. Einige trugen blutge tränkte Verbände, und in dem allgemeinen Hintergrundlärm hörte Han hohes Wimmern, das Schmerz und Angst verriet, und Schreie jenseits aller Hoffnung auf Hilfe oder Linde rung, klagende Stimmen voller Leid und Trauer. Selbst jene, die unverletzt waren, wirkten verloren, verängstigt, ausge mergelt, betäubt.
»Wer sind – sie?« fragte Han.
»Flüchtlinge«, sagte Dracmus mit harter, zorniger Stim me. Auch wenn man ihr befohlen hatte, keine Fragen zu be antworten – sie konnte sich nicht länger beherrschen. »Flüchtlinge, von deinem Vetter Sal-Solo und seiner Men schenliga vertrieben. Ihre Oberflächenhäuser verbrannt, ihre Tunnel mit Gasbomben ausgeräuchert. Gehetzt und gejagt und beschossen. Die Haupttunnel sind bereits von Flüchtlin gen verstopft, und alle anderen müssen durch die kleinen Tunnel fliehen. Wir wehrten uns, wo es möglich war, aber die Menschen liga hatte mehr Soldaten und Waffen und das Überraschungsmoment. Also fliehen wir, ziehen uns zurück, verstecken uns. Die Vorräte sind vernichtet oder lagern weit entfernt. Keine Verbände, keine Medizin, nicht einmal Nah rungsmittel. Wir können keinen Nachschub besorgen, weil die Menschenliga die Tunnelzugänge blockiert. Mein Volk leidet, weil Thrackan Sal-Solo, ein Mensch von deinem Blut, es so will, und aus keinem anderen Grund.«
Han wollte protestieren, wollte daran erinnern, daß es nicht seine Schuld war, daß Thrackan nicht nur Dracmus' Feind, sondern auch sein Feind war. Aber dann erkannte er, daß dies nicht stimmte. Thrackan Sal-Solo würde niemals al le Mitglieder von Hans Familie massakrieren, nur weil sie Menschen waren, oder verlangen, daß sie von ihrem Hei matplaneten deportiert wurden, um Platz für eine andere Rasse zu machen.
Han versuchte, die Lage so zu sehen, wie sie sich Drac mus darstellte. Selonianische Familienbande waren auf eine Weise unauflöslich, die für Menschen fast unbegreiflich war. Man wurde in seinen Stock, seinen Clan hineingeboren, und man konnte ihn nie verlassen – man konnte sich nicht ein mal vorstellen, daß so etwas überhaupt möglich war. Man war auf eine Weise ein Teil des Ganzen, wie es ein Mensch niemals sein konnte. Der Clan, der Stock handelte als Ein heit. Eine Stockschwester würde sich ebensowenig gegen den Stock wenden, wie die Hand eines Menschen versuchen würde, sich um die Kehle ihres Besitzers zu legen, um ihn zu erwürgen. In den Augen der Selonianer war Han ein Teil des Ganzen der Familie seines Vetters. Und da ein Mitglied sei ner Familie für das Elend der Selonianer verantwortlich war, wunderte es Han nicht, daß ihm die Selonianer so sehr miß trauten.
Die eigentliche Überraschung war, daß sie ihn noch nicht getötet hatten. Er hoffte nur, daß sie es sich nicht noch an ders überlegten.
»Komm, ehrenwerter Solo«, sagte Dracmus. »Wir müssen weiter. Das Ende ist nah, aber die Zeit ist knapp.«
Das Ende ist nah? Ein Satz, der unerfreuliche Schlußfolge rungen zuließ. Han wagte nicht einmal zu fragen, was genau sie damit meinte. Aber die anderen
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