Corkle 1
erzählen, wenn ich ihn nicht bei mir übernachten lasse. Also, was soll’s – ich habe ihn übernachten lassen.«
»Sonst noch etwas?« fragte Burmser.
»Er sagt, er hätte mittags eine Verabredung. Er hat mir nicht gesagt, wo und mit wem, und ich habe nicht danach gefragt.«
»Sonst noch etwas? Irgend etwas?«
»Er hat sich für den Scotch bedankt, und ich habe ihm gesagt, er soll zum Teufel gehen. Das war alles. Absolut alles.«
Hatcher begann zu dozieren. »Nachdem Padillo in Frankfurt auf dem Hauptbahnhof angekommen war, trank er ein Glas Bier. Dann führte er ein Telefongespräch. Er sprach dabei niemanden mit Namen an. Danach ging er ins Hotel Savigny und nahm sich ein Zimmer. Er fuhr mit dem Fahrstuhl hinauf und blieb etwa acht Minuten, dann kam er in die Bar hinunter. Er saß dort an einem Tisch zusammen mit einem Paar, das inzwischen als amerikanische Touristen identifiziert werden konnte. Das war um zwanzig Uhr fünfzehn. Um zwanzig Uhr dreißig entschuldigte er sich und ging in die Herrentoilette. Sein Zigarettenetui und sein Feuerzeug ließ er auf dem Tisch liegen. Er kam aber nicht wieder von der Toilette zurück, und das ist die letzte Spur, die wir von ihm haben.«
»Dann ist er also verschwunden«, sagte ich. »Und was soll ich jetzt tun? Was genau wollen Sie?«
Burmser drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus. Er runzelte die Stirn, und in der sonnengebräunten Haut erschienen vier tiefe Furchen. »Maas ist für Padillo wichtig«, sagte er im Ton des geduldigen Lehrers, der mit dem zurückgebliebenen Sohn des Bürgermeisters spricht. »Erstens, weil nur er außer uns wußte, daß Padillo in dieses Flugzeug steigen sollte. Und zweitens, weil Padillo in das Flugzeug nicht eingestiegen ist.«
Er machte eine Pause und fuhr dann in dem gleichen geduldigen Ton fort: »Wenn Maas weiß, welchen speziellen Auftrag Padillo hat, dann wollen wir die Sache abblasen. Padillo ist dann dabei nutzlos. Seine Tarnung ist aufgeflogen.«
»Ich nehme an, Sie wollen ihn zurückhaben«, sagte ich.
»Ja, Mr. McCorkle, wir wollen ihn ganz dringend zurückhaben.«
»Und Sie glauben, Maas weiß, was passiert ist?«
»Wir glauben, daß er der Schlüssel ist.«
»Okay. Wenn Maas vorbeikommt, sage ich ihm, er soll zuerst Sie anrufen, danach Inspektor Wentzel. Und falls Padillo zufällig anruft, sage ich ihm, Sie hätten sich nach seiner Gesundheit erkundigt.«
Beide sahen gequält drein.
»Wenn Sie von einem der beiden hören, geben Sie uns bitte Bescheid«, sagte Hatcher.
»Ich rufe Sie in der Botschaft an.«
Sie sahen nicht nur gequält aus, sondern schienen wirklich peinlich berührt zu sein.
Hatcher sagte: »Nicht in der Botschaft, Mr. McCorkle. Wir gehören nicht zur Botschaft. Rufen Sie uns unter dieser Nummer an.« Er schrieb sie auf ein Blatt aus seinem Notizbuch und reichte es mir.
»Ich verbrenne es anschließend«, sagte ich.
Burmser lächelte schwach, Hatcher nur beinahe. Sie standen auf und gingen.
Ich trank meinen Kaffee aus, zündete mir eine Zigarette an, um seinen kalten Geschmack loszuwerden, und versuchte dahinterzukommen, warum zwei örtliche Topagenten mir gegenüber so plötzlich ihre Identität preisgegeben hatten. In den Jahren, die ich jetzt die Bar betrieb, hatte mir keiner auch nur guten Tag gesagt. Jetzt war ich ein Eingeweihter, fast ein Mitverschwörer bei ihren Bemühungen, das Geheimnis des verschwundenen amerikanischen Agenten aufzudecken. McCorkle, der scheinbar unbedarfte Kneipier, dessen Spionagefühler von Antwerpen bis Istanbul reichten.
Daneben stand das ebenso unbehagliche Bewußtsein, eine Niete ersten Ranges zu sein. Für Maas war ich der träge, bequeme Tölpel, den man als Chauffeur und Gastwirt gebrauchen kann. Für Burmser und Hatcher war ich ein manchmal willkommener, in der Vergangenheit bei Kleinigkeiten nützlicher, im Ausland lebender Amerikaner, dem man nur genug Leine lassen mußte, um ihn am Haken zu behalten. Die Geschichte brauchte nur spannend zu klingen, man brauchte nur das geheimnisvolle Verschwinden seines Partners auszuspielen, der unterwegs nach Berlin sein sollte, mit einer Zyankalikapsel im Backenzahn und einem eingenähten Wurfmesser im Hosenlatz.
Ich öffnete den Schreibtisch und nahm die letzten Kontoauszüge heraus. Eine oder zwei Nullen fehlten noch, darum legte ich sie wieder zurück. Nicht genug, um in die Staaten zurückzugehen und sich zur Ruhe zu setzen. Vielleicht war es genug für zwei Jahre in Paris oder New York oder
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