Corkle 1
von uns muß sich hier um das Lokal kümmern. Padillo macht sich mehr aus Reisen als ich. Ich bin seßhaft. Wie Mycroft Holmes hab ich weder Energie noch Ehrgeiz. Deshalb betreib ich eine Kneipe. Ziemlich bequeme Art, immer genug zu essen und zu trinken zu haben.«
Fredl stand auf. »Du redest zuviel, Mac, und du lügst nicht gut. Du bist ein lausiger Lügner.« Sie öffnete die Handtasche und warf einen Umschlag auf den Tisch. »Hier ist dein Flugschein. Wenn du zurück bist, schick ich dir die Rechnung. Die Maschine geht um achtzehn Uhr ab Düsseldorf. Du hast genug Zeit, sie zu erreichen.« Sie beugte sich vor und tätschelte mir die Wange. »Paß auf dich auf, Liebchen honey. Wenn du wieder hier bist, kannst du mir ja noch ein paar Lügen erzählen.«
Ich stand auf. »Danke, daß du nicht bohrst.«
Sie blickte zu mir auf. Ihre braunen Augen waren groß und ehrlich und zärtlich. »Eines Tages werde ich es erfahren. Vielleicht um drei Uhr morgens, wenn du dich entspannt fühlst und dir nach Reden zumute ist. Bis dahin warte ich. Ich habe Zeit.« Sie drehte sich um und ging. Horst lief los, um ihr die Tür zu öffnen.
Ich setzte mich wieder und trank einen Schluck Kognak. Fredl hatte ihren nicht ausgetrunken, darum goß ich ihn in mein Glas. Abnutzen, aufbrauchen, sich begnügen, verzichten. Gilt sogar für Schnaps. Bei einer der seltenen Gelegenheiten, bei denen Padillo von dem gesprochen hatte, was er seinen »anderen Beruf« nannte, hatte er gesagt, einer der Nachteile sei, daß man mit »Weihnachtshilfe« arbeiten müsse; das könne alles mögliche sein, vom Abwehrdienst der Army bis zu Touristen mit zwei Canons, einer Leica und großem Interesse an den fotogenen Qualitäten tschechischer Rüstungsfabriken. Sie schienen immer erwischt zu werden und gaben ihren Beruf unweigerlich mit »Student« an.
Die Umstände, nicht der Wille, bestimmen das Handeln. Ich konnte den Flugschein und Padillos Notsignal ignorieren und hier in meiner behaglichen kleinen Kneipe sitzen bleiben und mich übelst betrinken. Ich konnte aber auch Horst herbeirufen, ihm die Schlüssel zur Kasse geben, nach Hause gehen, packen und dann nach Düsseldorf fahren. Ich ließ den Kognak stehen und ging zur Bar. Die Gäste waren weg, und Karl las in der Time. Er hielt sie für eine ulkige Zeitschrift. Ich war geneigt, ihm zuzustimmen.
»Wo ist Horst?«
»Hinten.«
»Rufen Sie ihn.«
Er steckte den Kopf durch die Tür und schrie nach Horst. Der dünne, asketische kleine Mann kam eilig hinter der Bar hervormarschiert und trat vor mich hin. Ich dachte schon, er würde die Hacken aneinanderschlagen. Unsere Beziehung war während der fünf Jahre, die er jetzt ftìr uns arbeitete, auf einer strikt formellen Basis geblieben.
»Ja, Herr McCorkle?«
»Sie müssen für ein paar Tage die Leitung übernehmen. Ich verreise.«
»Jawohl, Herr McCorkle.«
»Wieso denn?« fragte Karl.
»Das geht Sie überhaupt nichts an«, schnauzte ich. Horst warf ihm einen mißbilligenden Blick zu. Wir beteiligten Horst mit fünf Prozent am Nettoumsatz, und er betrachtete Entscheidungen der Geschäftsführung mit einem gewissen Besitzerbewußtsein.
»Sonst noch etwas, Herr McCorkle?« fragte Horst.
»Rufen Sie die Firma an, die Teppiche repariert, und stellen Sie fest, wieviel es kostet, die Zigarettenlöcher auszubessern. Wenn es nicht zu teuer ist, geben Sie ihr den Auftrag. Ich überlasse die Entscheidung Ihnen.«
Horst strahlte. »Jawohl, Herr McCorkle. Darf ich fragen, wie lange Sie fort sein werden?«
»Ein paar Tage, vielleicht eine Woche. Weder ich noch Mr. Padillo werden erreichbar sein, deshalb müssen Sie alles übernehmen.«
Horst hätte beinahe salutiert.
Karl sagte: »Mein Gott, haben Sie beide eine Art, Ihr Geschäft zu führen. Was ist eigentlich mit meinem Continental?«
»Wenn ich wieder da bin.«
»Klar. Prima.«
Ich wandte mich an Horst. »Es wird jemand kommen, vielleicht zwei Leute, um das Telefon zu überprüfen, wahrscheinlich morgen. Unterstützen Sie sie.«
»Selbstverständlich, Herr McCorkle.«
»Gut. Auf Wiedersehen.«
»Auf Wiedersehen, Herr McCorkle«, sagte Horst.
»Bis demnächst«, sagte Karl.
Ich stieg ins Auto und fuhr sechs Blocks weit bis zu einem Zwilling des Gebäudes, in dem Fredl wohnte. Ich parkte auf der anderen Straßenseite und nahm den Fahrstuhl in den sechsten Stock. Ich klopfte bei 614, und nach ein paar Augenblicken wurde die Tür vorsichtig geöffnet – ein Zoll breit. Ein langes, hageres, bleiches
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