Corum 01 - Der scharlachrote Prinz
verkrochen?«
»Ich bin nicht von Burg Gal.«
»Dann hatte ich also recht. Dies war nicht die letzte Vadhagh-Burg.« Der Verwundete versuchte sich aufzurichten, seinen Dolch zu ziehen, aber er war zu geschwächt. Er fiel wieder zurück.
»Es war nicht Haß, was ihr Nhadragh einst für uns empfandet«, widersprach Corum ihm. »Ihr wolltet unser Land, das ja. Aber ihr bekämpftet uns ohne Haß, genau wie wir euch. Den Haß habt ihr von den Mabden gelernt, Nhadragh, nicht von euren Vätern. Denen bedeutete Ehre noch etwas. Du weißt gar nicht, was das ist. Wie ist es nur möglich, daß sich einer der alten Rasse zum Mabden-Sklaven machen ließ?«
Die Lippen des Nhadragh verzerrten sich zu einem dünnen Lächeln. »Alle noch lebenden Nhadragh sind Sklaven der Mabden -schon seit zweihundert Jahren. Sie dulden uns nur, weil sie uns als Hunde brauchen, um jene aufzuspüren, die sie Shefanhow nennen. Wir leisteten ihnen den Treueeid, um überhaupt am Leben bleiben zu dürfen.«
»Aber konntet ihr denn nicht fliehen? Es gibt doch noch andere Ebenen.«
»Wir haben keinen Zugang mehr zu ihnen. Unsere Historiker behaupten, daß die letzte große Schlacht zwischen Nhadragh und Vadhagh das Gleichgewicht dieser Ebenen störte und daß die Götter uns deshalb den Zutritt verwehren - «
»So seid auch ihr wieder dem Aberglauben verfallen«, murmelte Corum. »Oh, was haben diese Mabden uns nur angetan!«
Der Nhadragh begann zu lachen und lachte, bis sein Gelächter zu Husten wurde und ein Schwall von Blut aus seinem Munde drang und über sein Kinn floß. Als Corum ihm das Blut abwischte, keuchte er: »Sie sind die Herren nach uns, Vadhagh. Sie bringen die Finsternis und den Terror. Sie sind der Ruin der Schönheit und das Ende der Wahrheit. Die Welt gehört jetzt den Mabden. Wir haben kein Recht, weiterzuleben. Die Natur will nichs mehr von uns wissen. Wir sollten alle längst tot sein!«
Corum seufzte. »Ist das deine Meinung oder ihre?«
»Es ist eine Tatsache.«
Corum zuckte die Schultern. »Vielleicht.«
»Es ist so, Vadhagh. Du wärst ein Narr, wenn du es nicht einsähst.«
»Sagtest du nicht, du dachtest, dies sei die letzte unserer Burgen - «
»Nicht ich dachte es. Ich spürte, daß es noch eine weitere gab. Ich sagte es ihnen auch.«
»Und sie zogen aus, sie zu suchen?«
»Ja«.
Corum packte den Verwundeten an den Schultern. »Wo?«
Der Nhadragh lächelte. »Wo? Wo anders als im Westen?«
Corum schwang sich auf sein Pferd.
»Bleib!« krächzte der Nhadragh. »Töte mich, Vadhagh, ich flehe dich an! Laß mich nicht länger leben!« »Ich verstehe nicht zu töten«, rief Corum zurück. »Dann mußt du es lernen, Vadhagh. Du mußt es lernen!« keuchte der Sterbende, als Corum bereits sein Pferd zum Galopp antrieb.
DAS FÜNFTE KAPITEL
Corum lernt seine Lektion
Und hier war Burg Erorn, ihre grauen Türme von gierigen Flammen umzüngelt. Die Wellen brandeten wild gegen den gewaltigen Fels, der eins mit der Burg war. Es schien, als protestierte die See, als heulte der Wind seine Wut hinaus, als versuchte er, die schäumenden Wogen hochzupeitschen, um das gewaltige Feuer zu löschen.
Burg Erorn erbebte unter dem Donner ihrer fallenden Mauern, und die bärtigen Mabden lachten über ihren Untergang und warfen triumphierende Blicke auf die im Halbkreis um sie auf dem Boden aufgereihten Leichen.
Es waren Vadhagh-Leichen.
Vier Frauen und acht Männer.
In den Schatten jenseits der natürlichen Felsenbrücke, sah Corum die blutigen Gesichter, und er kannte sie alle: Prinz Khlonskey, sein Vater; Coltarlarna, seine Mutter; seine Zwillingsschwestern Ilastru und Pholhinra; sein Onkel Prinz Rhanan; seine Kusine Sertreda; und die fünf Gefolgsleute, alle Verwandte zweiten oder dritten Grades.
Dreimal zählte Corum die Leichen, und die nagende Trauer verwandelte sich in kalten Grimm. Er hörte die Mörder einander in ihrem primitiven Dialekt zurufen.
Dreimal zählte er, dann wandte er der Horde seinen Blick zu. Nun war sein Gesicht wahrhaft das eines Shefanhow.
Prinz Corum hatte das Gefühl des Leides kennengelernt und das der Furcht. Und nun entdeckte er das der Wut.
Zwei Wochen lang war er fast ohne Rast dahingaloppiert, in der Hoffnung, die Burg noch vor den Denledhyssi zu erreichen und seine Familie vor den Barbaren zu warnen. Und nun war er ein paar Stunden zu spät gekommen.
Die Mabden waren ausgezogen in ihrer Arroganz, die der Dummheit entsprang, um jene zu vernichten, deren Arroganz aus der Weisheit geboren
Weitere Kostenlose Bücher