Corum 06 - Das gelbe Streitross
anzuziehen und reflektierte es mit einem feurigen Glanz, der noch zuzunehmen schien.
Vorsichtig hielt Goffanon das Schwert in der Hand. Er hatte es oberhalb des Heftes gepackt, so daß seine Finger den eigentlichen Griff nicht berührten. Gemeinsam mit Hisak, der zufrieden nickte, untersuchte er es.
»Um diese Klinge stumpf werden zu lassen, muß viel geschehen«, sagte Goffanon. »Außer Ilbrecs Schwert Vergelter gibt es keine Klinge wie diese mehr auf der Welt.«
»Ist das Stahl?« Jhary-a-Conel trat näher und musterte das Schwert mit scharfem Blick. »Es schimmerte nicht wie Stahl.«
»Es ist eine Legierung«, erklärte Hisak stolz. »Zum Teil aus Stahl, zum Teil aus Sidhi-Metall.«
»Ich dachte, auf dieser Ebene gäbe es kein Sidhi-Metall mehr«, warf Medheb ein. »Ich dachte, alles wäre verschwunden bis auf das wenige in den Waffen von Dbrec und Goffanon.«
»Es sind die Überreste eines Sidhi-Schwertes«, sagte Goffanon. »Hisak besaß sie. Als wir uns trafen, erzählte er mir, daß er sie schon seit vielen Jahren hatte, aber nicht wußte, wie damit umzugehen war. Er bekam sie von Bergleuten, die das alte Schwert gefundehatten, als sie nach Eisen-Erzen gruben. Es muß tief vergraben gewesen sein. Ich erkannte es als eines der hundert Schwerter, die ich für die Sidhi schmiedete. Nur ein Teil der Klinge war noch erhalten. Wir werden niemals erfahren, welche Umstände dazu geführt haben, daß es so tief vergraben wurde. Zusammen fanden Hisak und ich einen Weg, das Sidhi-Metall mit dem Metall der Mabden zu mischen und so ein Schwert zu schmieden, das die Vorzüge von beiden Erzen in sich vereinigt.«
Hisak Sonnendieb zog die Augenbrauen zusammen. »Und soweit ich verstanden habe, besitzt dieses Schwert noch einige besondere Eigenschaften darüber hinaus.«
»Möglich«, entgegnete Goffanon. »Zur rechten Zeit werden wir mehr darüber erfahren.«
»Es ist ein großartiges Schwert«, urteilte Jhary und griff danach. »Darf ich es einmal in die Hand nehmen?«
Aber Goffanon zog es schnell aus seiner Reichweite. Die Bewegung wirkte nervös, fast erschreckt. Der Schmied schüttelte den Kopf.
»Nur Corum«, sagte er. »Nur Corum!«
»Dann.« Corum wollte das Schwert entgegennehmen, doch Goffanon hob die Hand.
»Noch nicht«, hielt ihn der Zwerg zurück. »Ich muß erst das Lied singen.«
»Das Lied?« Medheb sah ihn neugierig an.
»Mein Schwertlied. Bei Gelegenheiten wie dieser wurde immer ein Lied gesungen.« Goffanon hob das Schwert gegen den Mond, und für einen kurzen Moment schien es zu einem lebenden, vibrierenden Wesen zu werden. Doch der Eindruck verschwand sofort wieder, und zurück blieb ein fest umrissenes schwarzes Kreuz, das sich deutlich gegen die große Scheibe des Mondes abzeichnete. »Jedes Schwert, daß ich schmiede, ist anders. Jedes muß ein anderes Lied haben. So erhält es seine unverwechselbare Identität. Aber ich werde dieser Klinge keinen Namen geben. Diese Aufgabe muß Corum übernehmen. Er muß dem Schwert den Namen geben, der zu ihm paßt und der einzig richtige ist. Erst wenn es seinen Namen erhalten hat, wird das Schwert seine wahre Bestimmung erfüllen.« »Und was ist diese Bestimmung?« fragte Corum.
Goffanon lächelte. »Ich weiß es nicht. Nur das Schwert wird es wissen.«
»Ich hielt Euch für über solchen Aberglauben erhaben, Sir Sidhi.« Jhary-a-Conel kraulte seiner Katze bei diesen Worten den Nacken.
»Das ist kein Aberglaube. Es hängt mit den Fähigkeiten zusammen, in Zeiten, wie dieser heute, in andere Ebenen zu blikken, in andere Zeitalter, in Zukunft und Vergangenheit. Was geschehen wird, wird geschehen. Nichts, was wir hier tun, kann daran etwas ändern. Aber wir werden ein Gefühl für das bekommen, was uns erwartet, und diese Ahnung kann von Vorteil für uns sein. Ich muß mein Lied singen, das ist alles, was ich weiß.« Goffanon blickte abwehrend um sich. Dann entspannte er sich und wandte sein Gesichdem Mond zu. »Ihr müßt zuhören und still sein, während ich sing e .«
»Und was wollt Ihr singen?« wollte Medheb wissen.
»Bis jetzt«, murmelte Goffanon, »weiß ich das selbst nicht. Mein Herz wird es mir sagen.«
Danach zogen die anderen sich instinktiv in den Schatten der Bäume zurück, während Goffanon zur Kuppe von Cremms Hügel hinaufstieg, das Schwert mit beiden Händen um die Klinge gepackt und gegen den Mond gehoben. Auf der Spitze des Hügels blieb er stehen.
Für einen langen Augenblick stand Goffanon lautlos und unbeweglich.
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