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Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Titel: Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil , Florian Tietgen
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für Frauen oder Männer, mit denen irgendwas nicht stimmte. Das betonte er lächelnd ab und zu, wenn er mir eine Flasche und ein Glas hinstellte. Er wurde nie laut, konnte beim Spiel gut verlieren und sich sogar für seine Frau freuen, wenn sie ihn besiegte. Wurde sie zu neugierig, bremste er sie sanft: »Mutti, das geht dich nichts an.«
          Frau Bergmoser sah immer noch auffordernd zu ihrem Gatten. »Papa, erzähl ihm doch mal von den wilden Partys, die wir gefeiert haben.«
          »Mutti, das waren doch ganz andere Zeiten«, antwortete er, nahm sich ein frisches Brötchen und reichte mir anschließend den Korb. Samstags gab es immer frische Brötchen. »Wir hatten erst Krieg, dann Revolution, dann wieder Krieg. Wenn wir dazwischen nicht über die Strenge geschlagen hätten, hätten wir gar kein Leben gehabt.« Er schnitt sein Brötchen auf, beschmierte es mit Butter, belegte es mit Schinken und zwinkerte mir zu. »Unser junger Siegfried hat andere Werte, ist strebsam und fleißig.«
          Ich musste mein Brötchen festhalten, damit es mir nicht zu Boden fiel, wenn Herr Bergmoser mir gegen die Schulter boxte, eine Geste, die ein Mann ertragen können sollte. Für solche Gespräche gab es Floskeln. Wohlgeformte Sätze, die zwar den Anschein erweckten, ich wäre zu brav, die aber alle alten Leute gern hörten. »Ich möchte schließlich mal meine Familie ernähren können«, war die Floskel, die ich an diesem Morgen nutzte. Hätte ich gewusst, welche Überraschungen der Tag noch für mich bereithielt, hätte ich vielleicht eine andere genommen.
          Noch fühlten sich die Bergmosers nicht belogen und betrogen. Noch bot er mir eine Scheibe Schinken an, damit ich nicht so ein Hering bliebe, und antwortete: »Genau, mein Junge. Erst den Grundstein legen, dann das Haus bauen. Andersherum geht es nicht. Für die Feste und die Frauen ist danach immer noch Zeit genug.«
          Noch schenkte Frau Bergmoser Kaffee nach, besorgt, ob sie noch welchen kochen sollte, und schüttelte, als sie sich wieder gesetzt hatte, den Kopf. »Aber er war doch die ganze Nacht unterwegs, Papa.« Sie wandte sich zu mir, sah mich kurz und durchdringend an, bevor ihr wieder etwas einfiel, das sie an den Kühlschrank trieb. Erst dort wischte sie sich die Hände in der Schürze sauber und stellte eher fest, als dass sie fragte: »Bestimmt haben Sie bei Ihrer kleinen Freundin übernachtet. Wann stellen Sie uns die junge Dame denn vor?«
          »Mutti, das geht dich nichts an.«
          
          Im Theater empfing mich mein Chef schon am Bühneneingang. »Komm mit in mein Büro!«, zischte er, warf seine Zigarette zu Boden, trat sie aus und folgte mir durch die Tür. Die gebundene Fliege zitterte vor seinem Adamsapfel, die Brille hatte er in die Hemdtasche gesteckt. Er war weitsichtig, deshalb schob er die Brille auch immer zur Stirn, wenn er mit jemandem redete.
          Ich hatte eine schöne Nacht, gemütliches Frühstück und ein paar Stunden Schlaf hinter mir. Es war ein grauer Samstag, ein Himmel, bei dem man das Gefühl hatte, er lastete wie ein Gewicht auf der Erde. Die Sonne schaffte es nicht einmal eine Minute, ihre Strahlen durch die dicke Wolkendecke zu schieben. Der Frost ließ in München dadurch nach.
          Ich war arglos, denn das Gespräch mit Fritz und den blanken Hintern meines Chefs, die Schönheit auf meinem Schreibtisch hatte ich längst vergessen. Doch schon die scharf gezischte Aufforderung rief mir alles wieder ins Gedächtnis und ließ mich ahnen, was kommen würde. Auf dem Weg zum Büro legte ich mir Argumente und Rechtfertigungen zurecht. Mein Chef musste mir doch glauben. Ich hatte mir nichts zuschulden kommen lassen. Warum hatte ich trotzdem ein schlechtes Gewissen?
          Mein Chef schloss die Tür, nachdem wir das Büro betreten hatten. Wie am Tag zuvor. Da hatte er auch die Tür geschlossen. Er setzte sich an seinen Tisch, ließ mich aber stehen. »Ich hatte dir gesagt, du müsstest sofort gehen, sobald du dich hier im Theater an jemandem vergreifst.«
          Ich schluckte. Obwohl ich damit gerechnet hatte, sowie er mich zu sich gebeten hatte, fühlte sich mein Mund auf einmal trocken und meine Haut taub an. Fritz hatte keine Zeit verloren. »Ja«, sagte ich militärisch knapp. »Ich weiß.«
          Mein Chef nahm einen Bleistift in die Hand, klopfte mit dessen Ende auf die Tischplatte und betrachtete mich.
          »Ich habe mich auch daran gehalten.«
      

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