Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)
besitzen, weil er einen Platz hat, an dem es bleiben kann – möchte er das? Oder sind das nur die Gedanken eines einfachen Sterblichen, der die Straße zwar kennt, aber froh ist, dass er nur ein paar Tage auf ihr leben musste? Kann er sich im profanen Luxus der Zivilisation wohlfühlen oder braucht er die Freiheit?
Ich muss ihm ein Zimmer einrichten, schon damit er sich verabreden, Freunde einladen und mit ihnen Sex haben kann. Werde ich es aushalten, ihn stöhnen zu hören? Ich kann es ihm doch nicht verbieten.
Die Strecke fahre ich im Schlaf. Ich nehme sie nicht wahr, sie dringt nicht in mein Bewusstsein, aber als ich vor meinem Haus im Brombeerweg parke, registriere ich, dass ich alles richtig gemacht haben muss. Kein Unfall. Den Frühstückstisch decke ich ab, das Geschirr stelle ich in die Spülmaschine, ich mache sauber, ziehe mich aus, stelle mich unter die Dusche und schon bei der Vorstellung, Darius könnte ins Bad kommen, bekomme ich eine Erektion. Ich trockne mich ab, rieche Darius in meinem Bademantel, koche mir frischen Kaffee und mache mir eine Scheibe Brot. Ich muss einkaufen, bevor ich ihn abhole. Im Bademantel setze ich mich aufs Sofa, schalte das Fernsehgerät an, solange ich esse. Da Samstag ist, wird ein Biathlonrennen übertragen, das ich mir anschaue, ohne mich dafür zu interessieren. Aber die Erektion verschwindet. Trotz des Gedankens an Darius gestern Abend, nur in meinem Bademantel und an die zukünftigen Abende – als gäbe er sein eigenes Leben auf, wenn er hier wohnt.
Ich flüchte vor meinen Fantasien in die Kleidung, mache das Bett, schüttle die Decken aus und sehe in der Küche und im Keller nach, was ich an Lebensmitteln im Hause habe. Beim Einkaufen komme ich zu mir, kann meine Gedanken darauf richten, was ich uns zu essen mache. Bestimmt keine Dosensuppe, auch wenn die Idee reizvoll ist. Ich kaufe Kräuter, Rindfleisch, Eier, Brot, Milch, Zucker – was man so braucht.
Zurück zu Hause packe ich alles weg, stelle mich in die Küche, drehe das Fleisch durch den Wolf, hacke frischen Thymian und Backpflaumen, reibe eine Limette, zerdrücke Knoblauch mit Salz und würze es damit. Nirgends kann ich so entspannen, wie beim Kochen. Es verscheucht alle Gedanken mit Liebe. Wenn ich aus Grießmehl, Olivenöl, Eiern und Salz Nudelteig knete, quellen lasse und ausrolle, bin ich bei mir. Es gibt nur mich und die Zutaten, die meine Aufmerksamkeit brauchen. Fülle ich das Gehackte in einen Schlauch und drücke es portionsweise in kleinen Häufchen auf den Teig, rolle ich meine Unterlippe zwischen die Zähne, als müsste ich die Balance halten. Kein Darius der Welt könnte mich daraus aufschrecken. Lege ich die zweite Teigplatte darüber und trenne mit einem Zahnrad die Ravioli, schaue ich nur auf die Linie und darauf, dass der Teig nicht reißt. Zeit vergeht wie im Fluge, Minuten und Stunden werden unwichtig und können sich nicht mit Grübeleien und Spekulationen füllen. Es kommt ohnehin, wie es kommt. Als ich nach Hamburg kam, die kleine Galerie übernahm, im Hinterzimmer eine Staffelei und Farben, als ich dort die ersten Bilder malte – bei elektrischem Licht – da hatte ich dieses Gefühl des Einklangs. Mit dem Erfolg ist es verloren gegangen.
Erst, als ich das Geschirr abwasche und die vorbereiteten Ravioli in den Kühlschrank stelle, hält die Realität wieder Einzug. Ich schaue auf die Uhr. Eine Stunde muss ich noch totschlagen, bevor ich Darius abholen kann. Zeit für einen weiteren Kaffee.
Zeit für Gedanken, die ich alleine nicht lösen kann. Das Gefühl, ich müsste mit Darius etwas klären, ohne zu wissen, was es ist. Er möchte bei mir wohnen. Hatte ich mir das nicht gewünscht? Es sind meine Hoffnungen und Ängste, die sich fragen, wie er sich das vorstellt, was er möchte. Denn ich möchte ihn als Partner, als Freund, möchte das Bett mit ihm teilen, ihm dort mit meiner Haut meine Geschichten erzählen, möchte ansetzen, wo er mich vor fünfzig Jahren verlassen hat, als wären wir beide älter geworden.
Erst jetzt sehe ich, er hat seine Zigaretten auf dem Tisch liegen lassen. Ich zünde mir eine an. Wie dämlich ist es, mit siebzig Jahren wieder damit anzufangen? Der Geschmack weckt Erinnerungen an unsere Küsse, an die Abende, an denen wir zusammensaßen, an den Gärtnerplatz. Der Rauch, der aufsteigt und sich im Zimmer verteilt, trägt Darius’ Gesicht. Ich versuche, Kaffee und Zigarette zu
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