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Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Titel: Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil , Florian Tietgen
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genießen, mich zu freuen, Verbindendes zu sehen, aber ich stolpere immer über das Trennende, zappe lustlos durch grauenhaftes Fernsehprogramm, bleibe an einer Art Krimi hängen, die wohl dokumentarisch wirken soll und in der ein Sprecher nach der Werbepause aufreißerisch den Inhalt einer Viertelstunde wiedergibt, wahrscheinlich aus Angst, die Menschen könnten das belanglose Geschehen in der kurzen Zeit vergessen haben. Im Auto lasse ich mich von Musik berieseln, ohne sie wahrzunehmen, auf Titel oder Texte zu achten oder die Moderation zu hören. Nicht einmal das Schlagzeug, das die Nachrichten spannend machen soll, stört mich. An den Landungsbrücken suche ich mir einen Parkplatz, gehe auf den Ponton und atme das Aroma der Elbe ein. Gleich unterhalb des Pupasch bleibe ich stehen. Darius muss dort vorbei kommen, trotzdem habe ich Angst, ihn zu verpassen. Das Schicksal könnte uns noch immer wieder trennen. Damit ich ihn nicht übersehe, recke ich mich, stelle mich auf die Zehenspitzen, so gut ich es in meinem Alter noch kann, schaue über die Köpfe der Touristen hinweg. Trotzdem zucke ich zusammen, als mir jemand von hinten auf die Schulter fasst und »Hallo« sagt.
          »Entschuldigung, ich wollte dich nicht erschrecken.« Darius’ Gesicht leuchtet. Seine Kleidung riecht ein bisschen nach Frittierfett und die Haut ist leicht gerötet, als wäre er durch die Kälte gelaufen.
          »Ich hatte dich nur nicht gesehen.« Ich gebe ihm die Hand, doch er nimmt mich in den Arm.
          »Wenn du so weit oben suchst, kann man gut darunter hindurchlaufen«, flüstert er wie ein Geheimnis in mein Ohr. Als junger Mann hätte ich ihm jetzt zum Spaß in die Rippen geboxt.
          Das Radio bleibt aus, während wir nach Hause fahren. »Wie lange bleibst du in Hamburg?«, frage ich und versuche mich auf den Verkehr zu konzentrieren.
          »Bereust du deine Zusage schon?«
          »Eher habe ich Angst, du bist eines Tages wieder einfach verschwunden.« Ich beiße mir auf die Lippen. Der Satz kam zu schnell, um ihn zu unterdrücken. Ausgesprochen kommt er mir wie eine Kette vor, wie ein Schloss, dem Darius entfliehen muss, bevor es zuschnappt. Meine Fantasie martert mich mit Kitschantworten: ›Ich werde dich nie mehr verlassen, ich bleibe bei dir, wir gehören zusammen.‹
          »Dein Misstrauen habe ich mir verdient.«
          Schweigend fahren wir die Helgoländer Allee hoch. Es ist wie gestern.
          Zwei Sätze.
          Schweigen.
          Zwei Sätze.
          Schweigen.
          »Vielleicht sollten wir erstmal klären, ob du einem alten Freund eine Unterkunft gibst, oder ob wir da ansetzen, wo wir vor fünfzig Jahren aufgehört haben?«
          Eine Frage.
          Schweigen.
          Rentzelstraße.
          Grindelhof.
          »Was möchtest du?«, frage ich.
          »Dich.«
          Doch der amerikanische Film, doch der Kitsch aus Liebesromanzen, Rosamunde Pilcher für Schwule, passend zu Marilyn Monroe und Marianne Rosenberg, zu Dramaqueens und Zwergpinschern – Klischees, in die wir uns freiwillig begeben.
          »Hast du mich mal angesehen? Wenn ich die Augen schließe und mir vorstelle, noch zwanzig zu sein, dann möchte ich auch dich. Aber wenn ich hinschaue, geht das nicht.«
          Bloß die Augen offen halten, sonst fahre ich jemandem auf. Hier im Grindelhof wimmelt es von Rad fahrenden Studenten und Fußgängern. Die Autos sind zwar stärker, aber die Menschen in der Mehrheit und sie verlassen sich darauf, dass ich bremse, wenn sie quer über die enge Straße laufen. Bloß die Augen offen halten, sonst flüstert mir der Kitschfilm Antworten ins Ohr: ›Ich sehe den Unterschied nicht, ich sehe dich, den Menschen, alles andere ist mir egal.‹
          »Lass dein Gefühl entscheiden, nicht deinen Verstand.«
          Die Realität ist nicht weniger kitschig.
          »Es geht nicht um Gefühl und Verstand. Es sind beides Gefühle.«
          Schweigen.
          Keine Fragen.
          Hochallee.
          Eppendorfer Baum.
          »Alles, was ich im Moment möchte, ist, dass du bei mir bleibst.«
          ›Wo sollte ich sonst hin?‹
          So schnell schlagen die Fantasieantworten von Kitsch in Verletzung um. Es geht nicht um mich, nur um die Bleibe, darum, nicht unter Brücken schlafen zu müssen. Ich muss doch ein Zimmer freiräumen …
          »Ich habe über hundert Jahre Erfahrung damit, im

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