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Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Titel: Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil , Florian Tietgen
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für dich zu kämpfen und dadurch nicht nur für dich viel erreicht. Und ich habe voller Stolz, dich zu kennen, verfolgt, wie groß du geworden bist und deinen Mut bewundert.«
          Jetzt muss ich abwiegeln. Er übertreibt. Ich habe Bilder gemalt, weil ich nicht anders konnte, habe Männer gemalt, weil ihnen meine Sehnsucht galt. Aber ich wollte politisch nichts bewirken. Ich war nicht mutig. Ich habe die Bilder immer so gemalt, dass sie keinen Anstoß erregen konnten.
          »Dir hätte doch gar nichts passieren können«, antworte ich, stelle das Glas wieder ab und stecke mir etwas in den Mund, kaue, schlucke, warte, doch Darius sieht mich nur an. Ahnt er die Frage nicht, weiß er nicht, welcher Gedanke mir durch den Kopf geht? »Warum musstest du mich für meinen Mut bewundern?«
          Er zuckt mit den Schultern. »Das Haus«, sagt er. »Die Entscheidung.«
          Fragend schaue ich ihn an, doch, bevor er es mir erklären muss, fällt die Erinnerung über mich her, enthüllt ein neues Stück übermalter Leinwand, bläst die Farbe von dem Leben, das ich gewählt habe, und legt andere Farben und Formen frei: Dunkle Facettenaugen, Heuschrecken, ein festes Haus, einen Greis, der aussieht, wie ein Wolpertinger, mindestens hundertfünfzig Jahre alt.
          

5.
          
          Trist waren die Wände des Pfarrhauses der St. Aloisius Gemeinde. Getünchter Gips auf nacktem Stein, graue Spuren vom Ruß der Kerzen. Es gab keinen Strom, im Ofen glühte nur wenig Kohle und das Wasser schleppte der Pfarrer aus einem Brunnen vor dem Haus heran.
          »Verzeihung«, sagte er. »Das macht sonst mein treuer Diener, heute jedoch habe ich ihn nach Hause geschickt. Was wir zu besprechen haben, muss er nicht hören.«
          Die kleinen Fenster ließen nur wenig Licht von der Straßenlaterne in den Raum. Der Pfarrer legte Kohle nach, schürte das Feuer im Herd und stellte einen Kessel auf die Platten. Das Essen, dieses Mal eine Suppe mit viel fettem Fleisch, Kartoffeln und zerkochtem Gemüse, stand, wie an jedem Abend der Reise, schon auf dem Tisch in der Küche, als hätte es nur auf mich gewartet. Es dampfte heiß und vom Geruch des gekochten Fleisches wurde mir etwas übel. Aber nach der Wanderung über die Schlangen hatte ich Hunger.
          Neben einen Krug hatte der Geistliche ein Stück Kernseife und ein Handtuch gelegt, damit ich mir die Hände waschen konnte. Zögernd setzte ich mich an den Tisch. Im Gegensatz zu den anderen Häusern empfand ich es in diesem bei aller Gastlichkeit bedrückend. Das Kerzenlicht wärmte nicht, sondern leckte mit scharfer Zunge dunkle Schatten an die Wände und ließ mich frösteln. Ich dankte dem Pfarrer, der am Herd stehen blieb, bis das Wasser kochte und mir wortlos andeutete, mein Mahl zu beginnen. Statt heißer Milch gegen die Heuschrecken bekam ich Kamillentee.
          Vorsichtig probierte ich die Suppe, füllte nur wenig auf den Löffel, um mich langsam an das Fett zu gewöhnen. Sie schmeckte großartig, mit jedem Löffel wurde ich mutiger, taute auf, konnte dem Geistlichen in die Augen sehen, als der sich zu mir setzte. In seinem Blick lag Strenge, nicht die wohltuende, etwas mürrische, wortkarge Wärme der anderen Gastgeber.
          »Weißt du, was geschehen wird?«, fragte er, nachdem ich den letzten Rest der Suppe mit einem Schluck Tee hinuntergespült hatte. Die Stimme war ruhig und tonlos. Ich schüttelte den Kopf, besann mich, eine wortlose Antwort würde bestimmt als unhöflich empfunden, als Beleg für meinen mangelhaften Charakter, dem es an Rückgrat und Klarheit fehlte. So hatten meine Lehrer es mir früher eingetrichtert. »Nein«, sagte ich mit fester Stimme. »Woher soll ich das wissen?«
          Der Pfarrer lächelte zum ersten Mal. »Du hast recht«, sagte er, »das kannst du nicht wissen. Niemand kann in die Zukunft sehen …«
          Warum waren die Worte so scharf wie ein Messer, warum so schneidend wie eisiger Wind? Sie bestätigten doch nur etwas Alltägliches.
          »… solange er sich nicht entschieden hat.«
          ›Entschieden.‹ Auf dem Zettel, der wie von Geisterhand von Haus zu Haus getragen und beschrieben wurde, hatte auch etwas von einem Kampf gestanden, von dem ich nichts wusste. Ich konnte nur ahnen, dass die Heuschreckenschlangen und die behütenden Häuser, die Wolpertinger, Bauern, Händler und Pfarrer ihn um mich führten, wusste nicht, wie ich hineingeraten und was an mir

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