Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)
er. »Sie haben dir den Preis nicht gesagt!« Immer länger werden die Schritte, immer schneller. »Der Preis!« Anlauf, Absprung, Flug, bis er mich umrennen müsste. Nur ein Schatten befällt mich, landet auf mir und in mir, zieht durch mich hindurch. »Der Preis ist wichtig.«
Dunkelheit. Keine Heuschrecken mehr, keine Schlangen, kein Pfarrer am Kreuz, kein Darius.
Leises Licht von der Straßenlaterne schien durchs Fenster, ich hatte Durst, meine Hände krallte ich ins Laken, ich schwitzte und fror. Die Bettdecke war feucht. Ich stand auf, ging zum Fenster, öffnete es, klapperte mit den Zähnen.
»Der Preis?«, fragten die Schlangen. »Du lernst, dich zu lieben, andere zu lieben, Gott zu lieben.«
Tief durchatmen, Fenster wieder schließen, die Bettdecke umdrehen und unter der trockenen Seite wieder einschlafen.
»Der Preis?«, fragte der Pfarrer. »Zufriedenheit.« Der Schein der Kerze flackerte über dem Lächeln. Bis die Nacht ihn erlosch und mich ruhig ins Morgenrot begleitete.
Kein Pfarrer weit und breit am Morgen des ersten Februar. Frisches Brot stand auf dem Tisch, Butter, Käse, Wurst, Marmelade. Kaffee brodelte in der Kanne über einem Stövchen. Das kleine Fenster ließ nur wenig Tageslicht hinein, die getünchten Gipswände waren scheckig vom Ruß und jeder Schritt, jedes Scharren mit dem Stuhl, das Umrühren des Zuckers – jedes Geräusch, das ich machte – hallte verstärkt verstärkt von ihnen zurück. Das Gebet flüsterte ich, trotzdem knallte es wie Peitschenhiebe in meinen Ohren. Kaum traute ich mich zu kauen, achtete peinlicher als sonst darauf, nicht zu schmatzen. Das Haus versorgte mich, doch kam ich mir vor, als störte ich seinen Frieden. Was für ein Friede war es, in den ich eingedrungen war. Hatte es mich nicht dazu eingeladen? Schnell war ich satt, räumte wie üblich die Sachen zusammen, spülte das Geschirr, trocknete es ab. Niemand erschien. Auf dem Tisch suchte ich nach dem Zettel, doch er war nirgends zu finden. Weder fand sich ein neues Blatt Papier noch ein Stift. So ohne Dank mochte ich nicht gehen. Das Pfarrhaus war unheimlich, aber es hatte mir Nahrung und einen Platz zum Schlafen gegeben. Der Pfarrer hatte mit mir gesprochen, mich ein paar Antworten finden lassen und mir noch mehr Fragen gestellt, die offenblieben. Doch ich hatte zu danken. Durch das Haus horchend versuchte ich, anhand eines Geräuschs festzustellen, ob der Pfarrer daheim war und wo er sich befinden könnte. Aber die Stille wütete im Gemäuer.
›Dann nicht‹, dachte ich etwas trotzig, schulterte den Rucksack und machte mich auf den Weg. Vor der Tür saß der Pfarrer auf einer Bank, als machten ihm Wolken und Kälte nichts aus. Ich sah ihn erst, als er sich räusperte, lächelte bei seinem Anblick, auch wenn er so streng und starr aussah, wie zu Beginn unseres Gesprächs am Abend zuvor.
»Ich habe Sie gesucht, wollte mich bedanken.«
»Hast du dich entschieden?«
»Nein.«
Er blieb regungslos, weder Enttäuschung noch Erleichterung waren ihm anzusehen. Nüchtern erfasste er meine Antwort, erhob sich und reichte mir die Hand zum Gruß. »Ich wünsche dir alles Gute.«
»Das wünsche ich Ihnen auch.«
Trockene Kälte kroch durch den Dufflecoat, selten hatte ich während meiner Wanderung so unangenehm gefroren.
Immer noch verzog der Pfarrer keine Miene.
»Die Heuschrecken werden auch nicht jubilieren, nehme ich an.«
»Nein.«
Der Pfarrer ließ meine Hand los, steckte seine in die Manteltasche und sah mir ein letztes Mal ins Gesicht. »Vielleicht entscheidest du dich ja noch.« Ein kurzes Nicken, dann drehte er sich um und verschwand im Pfarrhaus. Ich brauchte etwas Zeit, bis ich mich auch umdrehte und den Weg nach München antrat. Es war nicht mehr weit. Die Türme der Frauenkirche waren schon sichtbar und boten mir Orientierung.
Keine Schlange.
Keine Heuschrecke.
Kein gewisperter oder gezirpter Ton drang an mein Ohr. Ich hatte mich so sehr an die beschimpfenden Geräusche gewöhnt, dass mir die Stille zunächst gar nicht auffiel. Ähnlich dem Schmerz, der einem auf die Nerven geht, der sich ins Mark frisst und schier den Verstand kostet, an dem man aber doch immer wieder spielt, den man testet, ob er noch da ist. Ähnlich dem Schmerz, von dem man glaubt, er würde einen nie
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