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Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Titel: Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil , Florian Tietgen
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Seite, sah ihn kurz an, wohl, damit er bestätigend mit dem Kopf nickte. Der stand hilflos an ihrer Seite, hielt mir immer noch die Tasche mit meinem Sachen entgegen, die ich vor Verblüffung noch nicht angenommen hatte.
          »Sie haben uns von Anfang an belogen«, fuhr seine Frau fort. »Dabei haben wir Sie wie einen Sohn behandelt.«
          Betrachtet man Schweigen als Lüge, habe ich sie belogen. Ich habe die Wahrheit für mich behalten.
          ›Siehst du, wie verdorben du bist?‹, fragten die Heuschrecken. Nur in meinem Kopf. Es waren meine Gedanken, meine Scham über die Wut von Frau Bergmoser, mein Wissen darum, sie hatte recht. Sollte sie mich beschimpfen.
          ›Dem Blick standhalten. Und wenn ich die Schultern hängen lasse, aussehe, wie ein begossener Pudel, dem Blick halte ich Stand.‹
          Ich konnte nichts sagen, nichts antworten, mich nicht einmal zu rechtfertigen suchen, wie ein paar Tage zuvor bei meinem Chef. »Woher wissen Sie es?«, fragte ich, sah ihr dabei ins Gesicht. Die Scham sollte sie nicht sehen, auch den Ärger darüber, verraten worden zu sein, missachtet zu werden für etwas, mit dem ich geboren bin. Hätte ich das gesagt, hätte sie sicher noch lauter geschrien.
          »Sie streiten es noch nicht einmal ab« fuhr Frau Bergmoser auf, »was erlauben Sie sich? Haben Ihre Eltern Ihnen nicht den geringsten Respekt beigebracht?«
          Was hatte ich hier noch zu tun? Nichts hätte die Frau besänftigen können, alles, was ich antworten konnte, hätte es schlimmer gemacht. Ich sah von Frau Bergmoser zu ihrem Mann, nahm ihm die Tasche ab, schulterte meinen Rucksack und sagte: »Auf Wiedersehen.«
          »Gott bewahre uns.« Frau Bergmoser drehte sich um, zog ihren Mann am Arm und verschwand in der Wohnung.
          Herr Bergmoser blieb unentschlossen in der Tür stehen, holte tief Luft, atmete wieder aus, holte noch einmal Luft. »Es ist unsere Tasche …«
          »Entschuldigung.« Ich setzte den Rucksack wieder ab, kniete mich auf den Boden, um ihn und die Tasche zu öffnen.
          Ich hatte doch Proviant dabei gehabt. Die Vorräte waren nie versiegt. Wo waren sie geblieben? Nur meine gebrauchte Kleidung war noch im Rucksack, keine Mettwurst, kein Schinken, kein Brot.
          Herr Bergmoser stand unruhig auf der Fußmatte vor der Wohnung, räusperte sich, während ich meine spärliche Habe umfüllte.
          »Es tut mir leid«, sagte er mir heiserer Stimme. »Meine Frau war nicht zu beruhigen. Ich habe versucht, ihr zu sagen, Sie würden kein anderer, habe sie gefragt, ob Sie bleiben dürften, hätten Sie uns gleich zu Beginn die Wahrheit erzählt? Aber sie ist unerbittlich.« Er kniete sich zu mir, half, den prallen Rucksack zu verschließen.
          »Danke«, antwortete ich lächelnd.
          »Ich sage ja immer, die Menschen sollen leben, wie sie wollen – solange sie andere nicht belästigen. Wir haben doch gerade erst erlebt, wo es hinführt, wenn das nicht der Fall ist.«
          »Nochmals danke.«
          Ich spürte einen Kloß im Hals. Ausgerechnet Herr Bergmoser, der Wein ablehnte, weil nur Frauen ihn tranken – oder Männer, mit denen etwas nicht stimmte, ausgerechnet der Mann, der mir zuweilen so auf die Schulter geschlagen hatte, wie es nur echte Kerle aushalten, kniete bei mir auf dem Boden, half mir und zeigte Verständnis. Irgendwie passte es, auch, wenn ich es nicht erwartet hatte. Es passte zu der ehrlichen Freude daran, seine Frau im Spiel siegen zu sehen, passte zu der Einstellung, zwischen den Kriegen über die Strenge schlagen zu müssen. Aber bisher hatte er sich nur um den heißen Brei redend abfällig über Schwule geäußert und das böse Wort nicht erwähnt, das seine Frau gerade noch, mit einer Kunstpause davor, um die Missbilligung zu unterstreichen, offen herausgestoßen hatte.
          Wir standen auf, er reichte mir die Hand. »Was machen Sie jetzt? Kommen Sie irgendwo unter?«
          »Ich hoffe.«
          »Machen Sie es gut.«
          Ich ging die Treppe hinunter. Drückte der Rucksack schwer auf die Schultern oder taten es die Fragen.
          Wohin?
          Warum?
          Wie sollte es weitergehen?
          Wer hatte mich verraten?
          Es konnte nur Fritz dahinterstecken. Selbst, wenn Frau Berghofer in einem ihrer Anfälle mütterlicher Fürsorge mein Zimmer aufgeräumt hätte, nichts darin hätte mich verraten können. Ich las die Zeitschriften

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