Cosm
natürlich keine Begründung, aber sie kannte ja die Namen.
Am schlimmsten waren freilich die Studenten, die plötzlich mit feuchten Augen vor ihrem Büro standen. »Professor Butterworth? Ich war bei Ihnen in 3-B. Äh … ich habe ein B, und da dachte ich, ich könnte vielleicht etwas tun, um mich zu verbessern?«
In solchen Fällen lagen ihr immer zwei Fragen auf der Zunge: »Ist es dafür nicht reichlich spät? Und wieso haben Sie Angst vor einfachen Aussagesätzen?« Tatsächlich stellte sie bei allen Bittstellern eine Scheu vor klaren Aussagen fest, vor Noten, an denen nichts mehr zu ändern war, vor kritischen Momenten, die, einmal versäumt, unwiederbringlich vorüber waren. Solche Studenten hatten sich schon in der Grundschule mit einem sonnigen Lächeln das Wohlwollen ihrer Lehrer erkauft und glaubten nun, an der Universität gehe das so weiter. Wenn man nur lange genug bettelte, mußte sich die Note doch aufbessern lassen! Der Aushang mit der offiziellen Abschlußnote galt nur als Hinweis auf die letzte Chance, mit Jammern noch etwas zu erreichen. War nicht die Frage allein schon einen Pluspunkt wert? Und Pluspunkte konnte man schließlich sammeln, genau wie für einen kostenlosen Hamburger oder ein T-Shirt. Draußen in der großen, weiten Welt gingen Ruhm und Reichtum nur allzu oft an Menschen ohne jeden Wissensdrang. Warum sollte es in Akademia anders sein? Studenten wie diese wollten Sonderpunkte, nachdem der Kurs vorbei war, oder zumindest einen Teil der Punkte, auch wenn sie die Prüfung nicht geschafft hatten. Ihnen die richtige Antwort zu geben, war ein Teil des Lernprozesses.
Denn wenn ein Ingenieur die Statik falsch berechnete, stürzte seine Brücke ein, und wenn ein junger Arzt das Narkosemittel falsch dosierte, starb ein Mensch auf dem Operationstisch. Doch niemand aus dieser Gruppe ließ sich durch solche Vorhaltungen von der Überzeugung abbringen, er sei zu schlecht beurteilt worden, oder irgend etwas stimme nicht mit dem System. Nur etwa zehn Prozent der Kursteilnehmer benahmen sich so, aber die brachten Alicia auf die Palme. Sie wollten nur nach ihren ›Fähigkeiten‹ beurteilt werden und konnten nicht begreifen, warum die Welt das nicht verstand.
Sie meldete sich für ein paar Tage krank, gönnte sich viel Ruhe und kurierte ihre Erkältung aus. Das zahlte sich aus, denn inzwischen waren die Medien hellhörig geworden.
Der Newsweek -Fotograf hüpfte überall im Observatorium herum und schoß ein Bild nach dem anderen. Er hatte offenbar den Ehrgeiz, mit seinen Einzelaufnahmen die gleiche Originaltreue zu erzielen wie ein Film. Der Reporter, den er mitgebracht hatte, versuchte ständig, Alicia mit irgendwelchen Fangfragen in die Falle zu locken. Begleitet wurden die beiden von einer ziemlich nervösen Angestellten der UCI-Presseabteilung, die sich einerseits freute, Vertreter eines nationalen Magazins hier zu haben, andererseits aber darunter litt, daß die UCI sich noch nicht entschieden hatte, wie sie Alicias Handlungsweise am besten verkaufen wollte.
Alicia kümmerte sich nicht weiter um den Trubel. Der Journalist wirkte in seinem klassischen, schwarzen Anzug wie ein typischer New Yorker, sein schütteres, vom Färben stumpf gewordenes, schwarzes Haar war straff nach hinten gekämmt und mit Pomade angeklatscht. Während er mit öliger Stimme seine Fragen stellte und der Fotograf immer wieder sein »Bitte etwas mehr nach dahin« rief, führte sie die routinemäßig anstehenden Messungen durch und wünschte sich nur, etwas anderes angezogen zu haben als die alte Bluse und die schwarzen Jeans.
Dann klingelte ihr privates Mobiltelefon – den universitätseigenen Apparat benützte sie nicht mehr, und sie hörte auch den Anrufbeantworter nicht mehr ab – und der Scientific American meldete sich. »Ich habe bereits ein Abonnement«, sagte sie, doch bevor sie auflegen konnte, schob die Anruferin rasch dazwischen, sie sei Redakteurin.
»Ich wollte nur ein paar allgemeine Fakten überprüfen. Sie haben noch nicht allzu viel veröffentlicht …«
»Eigentlich gar nichts.«
»Aber ein kleines Vögelchen hat uns verraten, daß sich das in allernächster Zeit ändern wird.«
»Warum warten Sie’s nicht einfach ab?«
»Ihre Erfindung hat in Zusammenhang mit der Katastrophe in Brookhaven die Gemüter so sehr erhitzt …«
»Es handelt sich um keine Erfindung, sondern um eine Entdeckung.«
»Gewiß doch, allerdings wird von verschiedenen Seiten behauptet, Sie würden diese Entdeckung
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