Cosm
seh’n, wo hab ich das bloß abgedegt …«
Auf der Festplatte ihres Computers waren weder Daves E-Mail, noch ihre Antwort darauf zu finden. »Muß ich wohl falsch abgespeichert ha’m«, sagte sie. Dann fiel ihr wieder ein, daß sie ja einen Ausdruck gemacht und in die Aktenmappe gesteckt hatte, mit der sie nach Brookhaven geflogen war.
Max las die beiden Texte aufmerksam durch. »Großartig«, sagte er. »Und jetzt treten Sie in Aktion.«
»Ah … und wie?« Seit Alicia aus dem Flugzeug gestiegen war, fühlte sich ihr Kopf an wie mit Watte gefüllt, und ihr Verstand arbeitete noch schwerfälliger als üblich. Sie kam sich vor wie ein Dumpfkopf.
»Sie lassen durchsickern, daß Sie das hier in Händen haben.« Max wedelte mit dem Ausdruck. »Und daß Sie es gar nicht komisch finden, wenn irgendwelche Komplizen von Brookhaven solche Dinge von Ihrer Festplatte löschen.«
Alicia riß erst die Augen auf, dann runzelte sie skeptisch die Stirn. Max schüttelte mitleidig den Kopf. »Mein Gott, wie kann man nur so naiv sein? Es gibt hier etliche Leute, die einem alten Freund im armen Brookhaven nur zu gern einen Gefallen erweisen. Besonders, wenn sie der Meinung sind, Sie hätten gravierend gegen das Berufsethos verstoßen.«
»Meide Dateien sind mit eidem Paßwort gesichert …«
»An dem jeder kleine Keyboardartist im Handumdrehen vorbeikommt.«
»Vielleicht hab ich die Dateien selbst gelöscht …«
»Vielleicht.« Hochgezogene Augenbrauen, spöttisches Grinsen.
»Ich … bid überrascht.«
»Und ich wette, daß meine Erklärung stimmt. Sie denken in letzter Zeit nur noch an den Cosm selbst und nicht mehr daran, wie er auf andere wirkt. Das ist nämlich eine ganz große Sache.«
»Ich bid … daiv?«
»Aber trotzdem ganz reizend. Als nächstes werden Sie publizieren. Sie treten an die physikalische Öffentlichkeit und verbreiten Ihre Entdeckung online.«
»Äh … ich habe dicht die geringste Lust …«
»Wichtig ist, daß Sie Ihren Vorsprung halten. Und wenn Brookhaven erst weiß, daß Sie Ihre Warnung beweisen können, wird man Sie in den Medien nicht mehr ganz so heftig verteufeln.«
»Aber die Medien sollten doch außen vor bleiben?« Nun hatte die Wut sogar ihre Nebenhöhlen freigeräumt.
Ein zynisches Lächeln. »Träumen Sie weiter, Schneewittchen.«
Publizieren? Ebenso gut konnte man von einem Raufbold verlangen, daß er mitten in einem Faustkampf ein paar Fotos schoß, aber …
Die Zeit, die man benötigte, um einen Aufsatz zu veröffentlichen, war linear abhängig von der Zahl der Prügel, die einem von anonymen Gutachtern zwischen die Beine geworfen wurden. Die wissenschaftlichen Zeitschriften waren vielleicht die letzte Bastion, in der sich die Naturwissenschaften als Leistungsgesellschaft präsentieren konnten; hier mußten selbst Giganten erleben, wie ihre kostbaren Auslassungen von namenlosen Zwergen verrissen wurden. Berichte über erbitterte Zweikämpfe mit unbekannten Gutachtern hatten schon so manche Physikermahlzeit gewürzt. Ein solcher Gutachter konnte eine Publikation auf Monate oder gar Jahre hinaus blockieren.
Wenn sie nun den Zeitaufwand für eine ausführliche Beschreibung des Objektes einschließlich Entstehungsgeschichte, erfolgreichen und fehlgeschlagenen Untersuchungsmethoden, Vergleich zwischen Theorie und Experiment und anderen Erklärungsmöglichkeiten dagegensetzte …
Es war zu viel; besonders, weil Alicia im Schreiben nicht die Schnellste war. Sie teilte diese Schwäche mit all jenen Kopfarbeitern, die sehr langsam zu lesen gewohnt waren, weil sie ständig mit Fachtexten zurechtzukommen hatten, die gespickt waren mit unzähligen Abkürzungen und schwierigen, aber kompakt formulierten Argumenten. Und wer sich lange im Schneckentempo fortbewegt hatte, konnte nicht so ohne weiteres in den Schnellgang schalten. In einer Hinsicht war dies sogar ein Segen für die Wissenschaft – sonst wären die Zeitschriften noch dicker gewesen.
»Wenn Sie risikofreudig sind, gibt es auch einen anderen Weg«, verkündete Max. »Die ›mündliche Veröffentlichung‹. Sie fliegen zu einem halben Dutzend Universitäten und halten dort Seminare ab. Auf diese Weise bringen Sie Ihre Erkenntnisse am schnellsten unters Volk.«
»Und komme dafür selbst nicht mehr zum Experimentieren.«
»Hm, das ist richtig.«
Nein, die Lösung war ein knapper Artikel, der beschrieb, wie sie das Objekt ›entdeckt‹ hatte und welche Eigenschaften es besaß. Punkt. Keine Spekulationen, allenfalls
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