Cosm
zog keins davon die Bedeutung oder die Glaubwürdigkeit ihrer Arbeit in Zweifel, doch alle verlangten weitere Literaturangaben, und das verriet mehr über die Identität der Gutachter als über den Aufsatz selbst. Da wollte jemand noch im letzten Moment ohne Fahrkarte auf den fahrenden Zug aufspringen.
Der Artikel sollte sofort in Druck gehen, und das rief die Medienstellen der UCI wie des Brookhaven-Labors auf den Plan. Alicia ging in Deckung.
Nachdem der Umzug ins Observatorium abgeschlossen war, fielen Alicia die Strenge und Nüchternheit der neuen Räume und das ungeheure Durcheinander, das darin herrschte, kaum noch auf; für sie war ein Labor nur ein Instrument, das ein flexibler Geist entwickelt hatte, um damit Fragen an die physische Welt zu stellen.
Sie entwickelte sogar so etwas wie Zuneigung zu diesem riesige Vielzweckwerkzeug; wenn sie eine Messung durchführen wollte, schlüpfte sie in Gedanken in das Labor hinein wie in eine Jacke. Sie kannte jedes einzelne Kabel in diesem Raum und spürte auf Schritt und Tritt, wo die niemals ganz vollkommene Realität von dem Plan in ihrem Kopf abwich. Dennoch litt sie hier auch unter Spannungen, unter einer bedrückenden Gereiztheit, wenn dieses neue Universum seine Geheimnisse einfach nicht preisgeben wollte. Theoretiker mußten sich durch das schier undurchdringliche Dickicht der Mathematik kämpfen; Experimentalphysiker schlugen sich mit störrischen Geräten herum und trugen ihre schmutzigen Hände wie einen schwer erkämpften Orden vor sich her.
Noch einmal kontrollierte sie mit Zak die Daten, aber es gab wenig Neues. Dann ging Zak hinaus, um Material zu holen. Gleich darauf klopfte der Sicherheitsmann der UCI an die Seitentür des Observatoriums: sie hatte Besuch.
»Max?« Sie strahlte. »Wo haben Sie so lange gesteckt?«
»Ich war in Klausur.« Er trug Jeans und ein Sweatshirt und sah erholt aus. »Ich habe mich in die Einsamkeit zurückgezogen, um ein paar Berechnungen durchzuführen.«
»Ich brauche dringend moralische Unterstützung.«
Sein forschender Blick erinnerte sie an die Szene vor ihrem alten Labor, kurz vor dem Verhör durch die Polizei. Auch damals – es schien eine Ewigkeit her zu sein – hatte er sie so durchdringend angesehen. »Ich habe eher den Eindruck, als brauchten Sie Unterstützung zur Unmoral. Ein ausschweifendes Wochenende vielleicht.«
»Das habe ich bereits hinter mir. Ich war in den Bergen. Als ich zurückkam, hatte sich Brookhaven ins eigene Schwert gestürzt.«
»Das ist noch lange nicht alles. Sehen Sie nur zu, daß Sie weiterhin genügend Schlaf bekommen.«
Sie fiel ihm stürmisch um den Hals. »Mann, das wäre mein größter Wunsch.«
Sie blieben eine Weile in dieser Stellung, ohne daß er irgendwie reagiert hätte, dann ließ sie die Arme sinken und warf ihm ein Lächeln zu, das hoffentlich nichts verriet. Nicht, daß es etwas zu verraten gäbe, dachte sie, o nein, ganz sicher nicht.
Dann erzählte sie ihm, daß Physics Letters ihren Aufsatz angenommen hatte, und er nickte, als sei das von vornherein klar gewesen. »Haben Sie denn neue Marschbefehle für das Fußvolk der Experimentalphysiker?«
Er verzog das Gesicht und tastete sich zwischen ihren Diagnostiken hindurch, die inzwischen aus Platzgründen in Metallregalen untergebracht waren. »Ich denke, wir sollten allmählich nach Sternen suchen.«
»Wie bitte?«
»Nach sehr kleinen, sehr schnellen Sternen.«
»Erklärung?«
Max suchte sich den einzigen bequemen Stuhl im ganzen Raum und setzte sich. »Ein guter Physiker hat eigentlich nicht die Wahl zwischen Schönheit und Nützlichkeit. Was wirklich nützlich ist, sollte einfach sein, auch wenn es manchmal, weiß Gott, schwierig ist, alle Konsequenzen zu erfassen. Aber das liegt nur daran, daß die dazugehörige Mathematik knifflig und oft noch ziemlich neu ist – nicht an der Theorie selbst. Die Theorie ist nicht kompliziert, sondern in den meisten Fällen von einer geradezu beispiellosen Eleganz.«
»Hmm, das klingt wie die Einleitung zu einer Vorlesung.«
»Ich habe mich in die Stringtheorie vergraben und bin mit ein paar besseren Lösungen wieder aufgetaucht.«
»Aber die Zeitverschiebung bleibt doch bestehen?«
»Unbedingt. Sie ergibt sich nämlich aus einem wunderschönen, mathematischen Verfahren, mit dem man allerdings irgendwann gegen eine Mauer rennt. Mit physikalischen Verfahren kommen wir bei der Untersuchung der Verhältnisse in der Nähe eines Wurmlochschlunds auch nicht weiter,
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