Cosm
das alte Sprichwort? Das Einfache vertreibt das Gute. Ausschüsse und Verwaltungsarbeit waren von verführerischer Einfachheit. Wenn man nichts Wichtigeres vorhatte, machten sie vielleicht sogar Spaß, auch wenn sie sich das kaum vorstellen konnte.
Dekan Lattimer hörte sich Alicia an und gab ihr ebenfalls ein paar Ermahnungen mit auf den Weg, doch dann schrieb sie kurzerhand eine Anweisung auf dreißigtausend Dollar aus, die sofort eingelöst werden konnte. Die Röntgenkamera hätte allein schon fünfzigtausend Dollar gekostet, also strich Alicia sie von ihrer Liste. Statt dessen hängte sie sich einen Tag lang ans Telefon und rief ein wissenschaftliches Institut nach demanderen an. Bei Sandia Labs bekam sie die Kamera schließlich zu leihen. Ein Vorteil in zweifacher Hinsicht, denn auf diese Weise wurde vermieden, daß bestimmte Untergruppen der Teilchenphysikergemeinde hellhörig wurden. Für die beiden anderen Geräte fand Alicia Lieferanten in L.A., wo sie und Zak sie mit einem UCI-eigenen Transporter sofort abholen konnten.
Nach zwei Tagen und Nächten ununterbrochener Arbeit hatten sie vor dem Cosm eine provisorische Beobachtungsstation aus optischen Meßgeräten, Lichtleitern und Linsen aufgebaut, die alle von einem winzigen Fleck auf der Kugel ausgehenden, sichtbaren Emissionen auffangen konnte. Max nahm an, der Cosm würde alles Licht wie eine sphärische Linse nach außen streuen, so daß sie nur einen kleinen Bereich zu beobachten brauchten, um ein wirklichkeitsgetreues Bild zu bekommen.
Natürlich beruhten seine Erwartungen auf einer Schar geheimnisvoller mathematischer Formeln auf vier oder fünf gelben Notizblöcken, die er wie ein typischer, zerstreuter Professor ständig mit sich herumschleppte. Seine Berechnungen schrieb er allerdings – ein gewisser Ausgleich für das stillose, gelbe Papier – mit einem eleganten, silbernen Füller nieder. Dennoch, sagte Alicia sich immer wieder, waren seine Voraussagen weniger tragfähig als ein Spinnennetz. Aber sie freute sich über die Gelegenheit, eine weitere, wenn auch noch so unwahrscheinliche Möglichkeit zu verfolgen. Seit sie so zunehmend im Rampenlicht der Öffentlichkeit stand, machten ihr die Rituale des Experimentierens, das Überdenken der Messungen, der Aufbau eines Versuchs und das Herumbasteln, bis alles stimmte, noch mehr Freude.
Die Entwicklung des Cosm schritt rasend schnell voran. Alicia errechnete die Geschwindigkeit mit Hilfe von Max’ Exponentialgleichung und vergewisserte sich zweimal, ob sie auch wirklich keinen Fehler gemacht hatte.
Mit jeder Sekunde in ihrem Labor vergingen im Cosm inzwischen dreiundzwanzig Jahre.
Eine atemberaubende Zahl, das mußte sie zugeben. Falls sich die Kugel am anderen Ende überhaupt drehte, mußten die nahegelegenen Sterne als verschwommene Flecken erscheinen.
»An unserem Ende dreht sie sich natürlich nicht – jedenfalls nicht im Bezugssystem des Labors«, sagte Max. »Aber wir stehen schließlich auch nicht still. Die Erde dreht sich, sie kreist um die Sonne …«
»Wenn also jemand von der anderen Seite herüberschauen würde, könnte er uns sehen.«
»Uns ja, aber nicht die Sterne. Die wandern jede Nacht einmal um den Himmel herum.«
»Wir wissen aber nicht, was das andere Ende macht, oder?«
»Nein. Es umkreist die Materie, die sich in seiner Nähe befindet.«
»Dafür habe ich die Hochgeschwindigkeitskameras.«
»Und was tun die?«
Alicia mußte lachen. Max spielte die Rolle des Fachmanns nicht schlecht, aber technische Geräte waren nicht sein Fall. »Sie machen alle fünf Milliardstel Sekunden einen Schnappschuß.«
Ein anerkennender Pfiff. »Damit bekommen Sie eine Aufnahme, die etwas weniger als eine Sekunde Cosm-Zeit abdeckt.«
»Reicht das?«
»Äh … ich hoffe es. Wetten würde ich darauf nicht abschließen.«
»Sind Sie nicht einer von den tapferen Theoretikern, die sich auf der Suche nach neuen Ufern furchtlos auf die stürmische See der Phantasie hinauswagen?«
»Ich bin einer von den Theoretikern, die ungern Geld verlieren.«
Nachdem sie das Observatorium völlig verdunkelt hatten, begannen Alicia und Zak mit den Standbildkameras zu arbeiten. Sie wählten eine Stelle auf der Oberfläche des Cosm, vergrößerten sie mit einem gewöhnlichen Mikroskop und machten dann Aufnahmen mit nur fünf Nanosekunden Belichtungszeit. Am ersten Tag bekamen sie ausschließlich leere Negative. Natürlich keine richtigen, fotografischen Negative – alle Daten wurden den Lichtleitern
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