Cosm
und daß alles, was der Mensch ist, und alles, was den Menschen zeitlich und räumlich umgibt, unübersichtlich geworden zu sein scheint. Alles scheint relativ auf seinen Ort im Raum, in der Zeit und in der eigenen Psyche und nicht mehr als ›ewiger Wert‹ Gültigkeit zu haben.
Diese Erfahrung entsteht durch die metaphysischen Kränkungen der Moderne.
3. Die metaphysischen Kränkungen der Moderne
Von seiner Mentalität her hat sich das Christentum bisher in hohem Maße an das geozentrische Weltbild gebunden. Das geozentrische Weltbild ist jene Theorie der Astronomie, gemäß der die kugelförmige Erde die Mitte des Weltalls einnimmt und gemäß der sich die Sonne, der Mond und die Planeten und das gesamte Himmelsgewölbe mit seinen unzähligen Fixsternen um die Erde drehen. Man kann diese geozentrische Theorie, die gerne mit dem Namen Ptolemaios (87-165 n. Chr.) in Verbindung gebracht wird 6 , gut zusammengefaßt lesen bei den griechischen Geographen Strabon (63 v. Chr.-20 n. Chr.), der in seinen ›Geographica‹ 7 in siebzehn Büchern eine der Hauptquellen für die antike Geographie verfaßt hat. Strabon schreibt:
»Die Lehren der Physiker sind die Folgenden: Das Weltall und das Himmelsgewölbe sind kugelförmig. Die Bewegung der schweren Körper strebt nach dem Mittelpunkt. Verdichtet um das Zentrum des Weltalls steht die kugelförmige Erde. Sowohl die Erde als auch der Himmel haben einen gemeinsamen Mittelpunkt. Durch diesen Mittelpunkt und durch die Mitte des Himmels geht die Achse der Welt. Der Himmel befindet sich um seine Achse herum vom Osten her nach Westen zu in gleichmäßiger Bewegung. Mit gleichmäßiger Geschwindigkeit bewegen sich auch die Fixsterne des Himmels. Die Bahnen der Fixsterne am Himmel sind Parallelkreise. Die bekanntesten Parallelkreise sind der Äquator, die beiden Enden und die Polarkreise. Die Planeten, die Sonne und der Mond bewegen sich auf schiefen Kreisen durch den Zodiakus (…).« 8
Wo die Erde der räumliche Zentralort des Kosmos ist, hat es der Mensch nicht schwer, sich zu verorten.
Das Christentum ist von seiner Mentalität her in diesen geozentrischen Kontext eingebettet gewesen. Innerhalb des geozentrischen Raumes spielt sich das heute noch geläufige Muster christlicher Heilszeit ab, das in deutlicher Spannung zum Evolutionsgedanken steht.
Um den Kontrast zur ›kopernikanischen Mentalität‹ der Moderne deutlich zu machen, wollen wir uns zunächst ein geozentrisches Gegenbeispiel vor Augen führen.
Die geozentrische Erstreckung von Heilsraum und -zeit soll hier anhand von Aurelius Augustinus kurz skizziert werden.
Ausgangspunkt ist für das Verständnis dieser augustinischen Heilsraumzeit das Begriffspaar ›Heil‹ und ›Unheil‹. Die ganze Geschichte hat ihren umfassenden Rahmen darin, daß sie das Mittelstück eines Gesamtprozesses ist, der mit der Schöpfung beginnt und mit dem Gericht Gottes endet. Durch Prädestination ist alles, was geschieht, von Gott vorherbestimmt und somit auch geordnet. Im Kosmos gibt es zwei Staaten ( ›civitates duae‹ ). Diese beiden Genossenschaften, deren Leben die Geschichte dieser Welt bestimmt, sind schon mit dem Fall der Engel gegeben. Die gefallenen Engel sind von Natur aus gut, haben aber willentlich die Eigen-Ständigkeit, die Trennung von Gott vollzogen. Die Geschichte der beiden Staaten findet ihre Fortsetzung nach dem Engelfall im Fall der Menschen.
Durch Adams Sündenfall ging die Menschheit ihres ursprünglichen glückseligen Zustandes verloren. In der Folge gliedert sie sich auch in zwei Genossenschaften. Da nämlich alle Menschen von einem Menschen (Adam) abstammen, sind sie alle Erben der ursprünglichen Sünde, die ihre Verdammnis bewirkte, wenn nicht Gottes ungeschuldete Gnade einige von ihnen bewahrte. Durch diese Gnade wird schon bei den Söhnen Adams der Unterschied zwischen den beiden Staaten, die wir uns als Verbände von Engeln und Menschen vorzustellen haben, sichtbar. Kain wird der Stammvater der sich auf Erden einrichtenden Mitglieder des irdischen Staates, und Abel wird der Stammvater der auf Erden pilgernden Mitglieder des ewigen Staates. 9
»Von den beiden Eltern des Menschengeschlechts«, so schreibt Augustinus zu Beginn des fünften Jahrhunderts, »ward also zuerst Kain geboren, der dem Menschenstaate angehört, darauf Abel, der Angehörige des Staates Gottes. Denn wie beim einzelnen Menschen die Erfahrung das Apostelwort bestätigt, daß nicht das Geistliche das erste ist,
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