Cosm
flexibel war, ›Schreibtischhengste‹ oder ›Hörsaalphysiker‹ blieben, wo sie waren. Und waren vermutlich auch ganz zufrieden damit.
Diese Vielseitigkeit kam ihr jetzt zugute. Sie hatte noch nie mit der Messung von Gravitationsbelastungen zu tun gehabt, doch von Riley Newman, einem Professor, der sich mit Präzisionsmessungen der Gravitationskonstante G beschäftigt hatte, erfuhr sie darüber eine ganze Menge. Er arbeitete mit winzigkleinen, hochempfindlichen Torsionspendeln, deren Schwingungsdauer sich mit der Entfernung von der jeweiligen Masse verkürzte. Um Max’ Behauptung nachzuprüfen, brauchte sie diesen Effekt nur auf ein Promille genau zu messen. Newmans Geräte waren tragbar und der Aufgabe vollkommen gewachsen.
Zunächst sah alles ganz einfach aus, aber der Schein trog. Alicia hielt Max ständig auf dem laufenden und hatte sich auch vergewissert, wie präzise die Messung sein mußte, um Ergebnisse zu erbringen, die er für schlüssig hielt. Sie hatte mit Physik 3-B alle Hände voll zu tun und hätte das neue Projekt gern auf Zak Nguyen abgewälzt, aber der hatte den Urlaub mit seiner Familie schon so lange aufgeschoben, wie es die Tickets zuließen, und stand nun für zwei Wochen nicht mehr zur Verfügung. In einer Hinsicht war das ganz gut so: in der letzten Woche war es zwischen ihm und Brad mehrmalszu Reibereien gekommen. Der flinke, manchmal überhebliche Brad nörgelte ständig an Zaks bedächtiger Arbeitsweise herum. Noch schlimmer war, daß Brad Sprünge machte, um die Ergebnisse möglichst rasch abschätzen zu können, während Zak jeden Schritt sorgfältig entwickelte, so daß es kaum jemals Überraschungen gab. Brad wollte sich mehr mit der Kugel und weniger mit dem Core-Element beschäftigen. Alicia hatte sehr wohl gemerkt, daß Zak froh war, dem Labor und Brad für eine Weile zu entkommen. Aber es war ungewohnt, ihn nicht mehr ständig um sich zu haben.
Seit Zak fort war, lief Brad zu großer Form auf. Sie setzte ihn als Mädchen für alles ein, während sie Newmans Geräte aufbaute. Natürlich gab es tausend kleine Pannen, und das Magnetfeld erschwerte die Sache noch weiter, doch eines Nachmittags war es so weit: gemeinsam mit Brad stellte sie die Daten zusammen und zeichnete die Kurve an die Tafel. Die Gezeitenkraft im Umfeld der Kugel fiel im Kubik zur Entfernung ab.
»Was, zum Teufel, kann das bedeuten?« fragte Brad.
»Daß wir ein wirklich exotisches Objekt gefunden haben. Es hat die Form einer Kugel, aber wir können eine Gezeitenkraft messen, das heißt, daß sich im Innern eine inhomogen verteilte Masse befindet.« Sie war müde, aber irgendwie glücklich. Max hatte sie seit jenem ersten Besuch nicht wiedergesehen, aber sie hatten mehrfach telefoniert und E-Mail-Botschaften ausgetauscht. Nun freute sie sich darauf, ihm von dem Ergebnis zu erzählen.
»Und der Theoriefritze hat das vorhergesehen?« fragte Brad skeptisch.
»Das hat er in der Tat«, bestätigte eine Stimme aus den Schatten im hinteren Teil des Labors.
Max. Erschrocken sah Alicia ihn ins Licht der Strahler treten, die auf den U-Magneten gerichtet waren. »Ich bin schon seit einer halben Stunde hier, aber ich wollte Ihnen bei der Arbeit zusehen«, sagte er. »Undda habe ich mich da hinten hingesetzt und Mäuschen gespielt.«
»Woher wußten Sie …?«
»Sie sagten doch, Sie sind fast fertig. Ich habe morgen ein Seminar an der UCSD * , und da dachte ich, ich schaue mal kurz rein.«
Die alte Rivalität zwischen Theoretikern und Experimentalphysikern war vorübergehend vergessen, Alicia genoß es in vollen Zügen, das Experiment Schritt für Schritt mit Max durchzugehen und ihm Werte zu zeigen, die an Klarheit nichts zu wünschen übrig ließen. Ein festes Fundament aus gewissenhaft recherchierten Fakten war eine wahre Wohltat in einer Welt voller gegensätzlicher Meinungen und fanatischer Überzeugungen.
Als sie sich dem Endergebnis näherte, vertieften sich die Sorgenfalten auf seiner Stirn. Ein Theoretiker, der auf die Bestätigung seiner Prognose wartete, befand sich in einer ähnlichen Situation wie ein Angeklagter während der Beratung der Geschworenen. Der Angeklagte wußte, was er getan hatte, und hoffte, die Geschworenen würden sich irren, wenn er schuldig war, und richtig entscheiden, wenn er unschuldig war. Die Natur konnte nicht irren, man mußte ihr nur die richtigen Fragen stellen. Aber der Prognostiker wußte nicht, ob er schuldig oder unschuldig war, und als sich nun der Obmann der
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