Cosmic Trigger (Band 3)
‚brutal’, sie
führt die
Wahrnehmung des Publikums beharrlich in einen vorher erzeugten
Realitätstunnel.
Jede Kamerafahrt von Welles jedoch – mit den Schauspielern, die sich in
verschiedene Richtungen bewegen und der Kamera, die wie nervös um sie
herum
fährt – arbeitet gegen diese totalitäre Tendenz und propagandisiert
auch nicht.
Es regt den Zuschauer vielmehr an, selbst zu entscheiden, welche
Elemente
wichtig sind und wie man sie zu einer kohärenten ‚Bedeutung’
aufeinander
bezieht.
2)
Zu keinem Zeitpunkt der 135
Sekunden erlaubt es Welles der Kamera, das zu tun, was die
französischen
Regisseure des New Wave le plain Américain nennen
– die typische Hollywood-Aufnahme,
bei dem die Kameralinse in Augenhöhe eines ‚objektiven’ Zuschauers ein
paar
Meter von der Handlung entfernt steht.
Le
plain Américain grenzt
den gewöhnlichen ‚Raum’ und die
gewöhnliche ‚Realität’ ab, durch den uns die typischen
Hollywood-Regisseure
darauf trainiert haben, Raum und Realität wie sie selbst zu sehen.
Welles
versetzt dich in einen kontingenten Raum, der sich kontinuierlich neu
definiert
(nach der Art und Weise der besten Arbeiten von Picasso oder Elmyr,
oder wer
auch immer die kubistischen Bewusstseins-Brocken der bedeutenden 20er
Jahre
gemacht hat.)
3)
Insbesondere montierte Orson die
Kamera auf einen 6,5 Meter-Kran, um die Informationen von 20
Einzelaufnahmen in
eine einzige flüssige Kamerabewegung zusammenzufassen. Die Kamera geht
niemals
dahin, wo wir es erwarten, sondern immer dorthin, wo es uns überrascht.
Wie
auch Marihuana erzeugt diese lange
Aufnahme von Welles einen Informationsüberschuss und provoziert einen
dazu, den
eigenen Realitätstunnel zu erweitern, um all die Informationen zu
verarbeiten.
Die Montage und le plain Américain versetzt einen
dagegen in eine Art
Trance. Welles´ Manöver aber rüttelt einen auf fast gewalttätige Weise
wach.
Wild und ungemütlich zwischen Komödie, Melodram und Tragödie vor und
zurück
taumelnd, betrachtet Touch of Evil Drogenfahnder
(und andere Cops) wie
mit berauschten Augen und erschuf zwei Jahre, bevor die 60er begannen,
etwas,
das heute wie der archetypische Film der 60er Jahre aussieht.
4)
Welles benutzte für diesen Film
natürlich seine geliebte 18.5 mm Linse, die einen ungewöhnlich weiten
Winkel
und einen tiefen Fokus ermöglicht. Das erzeugt jene „Mischung aus
Realismus und
Surrealismus“ (wie es ein BBC Kommentator einmal genannt hat), die wir
aus dem
Welles´schen Kino kennen.
In realistischer Hinsicht
bringt die 18.5 mm Linse den Hintergrund in einen schärferen Fokus und
näher an
das heran, was die Augen in der gewöhnlichen, nicht-filmischen Welt
sehen. Sie
erlaubt Welles, einem Möchtegern-Maler in seiner Pubertät, jede
Aufnahme in
seinem grandiosen kompositorischen ‚Maler’-Stil zu färben.
In surrealistischer Hinsicht
versetzt uns die 18.5 mm Linse aber in das, was ich einen ‚stoned
space’ nenne.
Wenn mathematisch betrachtet der Schauspieler bei einer normalen
Hollywood
Linse drei Schritte vorwärts geht, scheint er dementsprechend auch auf
der
Leinwand drei Schritte vorwärts zu gehen. Mit der 18.5 mm Linse bewegt
er sich
im filmischen Raum in relativistischer Weise aber 9 Schritte näher an
das
Publikum heran und scheint sich unheilvoll – oder manchmal lächerlich –
zu
vergrößern. Diese Mischung aus ‚schärfer-als-üblich’-Fokussierung in
einem
nicht-euklidischen, relativistischen Raum scheint mir die beste
cinematische
Darstellung einer psychedelischen Wahrnehmung zu sein.
Es
gibt das Vorurteil, dass die
‚normale’ kleinwinklige Linse ‚Realität’ besser abbilden kann als die
18.5 mm
Linse oder dass die menschlichen Augen die ‚Realität’ besser sehen
können als
die des Hundes. Doch dies repräsentiert nur die Art des kulturellen
Chauvinismus, die postmoderne Kunst zu unterwandern versucht. Durch sie
lernen
wir, aus unterschiedlichen Blickwinkeln schauen zu können. Wie der
Barde der ‚ Lambs and Tygers ’ sagte, müssen wir hinter die „Single
Vision and Newton´s
Sleep“ schauen.
(Ja,
tatsächlich hat Welles das böse
Kraut zumindest hin und wieder gebraucht. Die Jazz-Sängerin Billie
Holliday
erzählte einmal, dass sie und Orson davon eine Menge geraucht haben,
während er Citizan Kane drehte. Siehe ihre Autobiografie Lady
Sings the Blues)
Um
noch tiefer in den stoned-out space
der ersten 135 Sekunden von Touch of Evil einzudringen:
Ominöse
Musik (Rock ´n Roll-artig mit
einem
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