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Cosmopolis

Cosmopolis

Titel: Cosmopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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arbeiten, wo er zufällig gerade war, oder um zu Hause im Nebentrakt zu arbeiten, weil er Leben und Arbeit eigentlich nicht wirklich voneinander trennte, oder um zu reisen und nachzudenken oder um in seinem sagenumwobenen Haus am Bergsee die Zeit mit Lesen zu verbringen.
    Ich bin besessen von den Dingen des Geistes, nicht auf Taten eingestellt.
    Jetzt bin ich in der Lage, dass ich zu seiner Leiche sprechen kann. Und zwar ohne unterbrochen oder korrigiert zu werden. Er kann nicht behaupten, dieses oder jenes sei der Fall, oder ich würde mich blamieren oder mich furchtbar täuschen. Nicht geradeaus denken. Dies ist ein Verbrechen, das er in die Ruhmeshalle des Schreckens gebracht hat.
    Wenn ich versuche, meine Wut zu unterdrücken, bekomme ich Anfälle von hwa-byung (Korea). Das ist hauptsächlich kulturelle Panik, die ich mir im Internet geholt habe.
    Ich war Assistenzprofessor in Computeranwendung. Vielleicht habe ich das schon gesagt, auf einem Community College. Und dann zog ich aus, meine Million zu verdienen. Der Stift, mit dem ich schreibe, ist gelb, mit der Ziffer 2 darauf. Ich will notieren, welches Werkzeug ich benutze, nur für die Akten.
    Mir war immer bewusst, was mit Worten oder Blicken gesagt wurde. Das, was Menschen in einem anderen zu sehen glauben, macht seine Wirklichkeit aus. Wenn sie glauben, dass er schief geht, dann geht er schief und unkoordiniert, weil das seine Rolle im Leben seiner Umgebung ist, und wenn sie sagen, seine Kleidung passt ihm nicht, dann wird er lernen, seine Garderobe zu vernachlässigen, um sie zu verspotten und sich selbst zu bestrafen.
    Ich halte die ganze Zeit im Geiste Reden. Sie tun das übrigens auch, nur nicht andauernd. Ich die ganze Zeit, lange Reden an jemanden, den ich nicht identifizieren kann. Aber allmählich glaube ich, dass er es ist.
    Ich habe mein Papier, genormtes Format, weiß mit blauen Linien. Ich will zehntausend Seiten schreiben. Aber ich sehe schon, ich wiederhole mich. Ich wiederhole mich.
    Nachdem ich ihn umgedreht hatte, durchsuchte ich seine Taschen und fand nichts. Eine seiner Taschen war zerrissen. Er hatte eine verkrustete dunkelrote Wunde am Kopf, nicht dass mich Beschreibungen interessieren. Geld interessiert mich. Ich suchte nach Geld. Er hatte einen halben Haarschnitt, aber ohne die andere Hälfte, und er trug Schuhe, aber keine Strümpfe. Der Körpergeruch war übel.
    Ich stehle Strom aus einem Laternenpfahl. Ich bezweifle, dass ihm das aufgefallen ist, für meine Räumlichkeiten.
    Ich habe viele Rückschläge erlitten, aber ich gehöre nicht zu diesen vernachlässigten Männern, die man auf der Straße sieht und die in Minuten leben und denken. Ich lebe philosophisch am Ende der Welt. Ich sammle Sachen, stimmt schon, auf den Bürgersteigen in meiner Gegend. Mit dem, was die Leute wegwerfen, könnte man einen Staat aufbauen. Manchmal höre ich meine Stimme beim Sprechen. Ich spreche mit jemandem und höre den Klang meiner Stimme, in der dritten Person, höre, wie meine Stimme die Luft um meinen Kopf erfüllt.
    Die Fenster sind von der Stadt verbrettert worden, als das Betreten des Hauses verboten wurde. Aber ich habe ein Brett gelockert, um Luft hereinzulassen. Ich lebe kein unwirkliches Leben. Ich lebe ein praktisches Leben des Neuanfangs, nach dem intakten Wertekanon der Mittelklasse. Ich reiße Wände ein, weil ich nicht in einer Reihe kleiner Kästen leben will, wo andere Menschen gelebt haben, lauter Türen und enge Flure, ganze Familien mit ihrem vollgestopften Leben und soundsoviele Schritte bis zum Bett und soundsoviele Schritte bis zur Tür. Ich will ein offenes Leben des Geistes leben, in dem sich mein Bekenntnis entfalten kann.
    Aber es gibt Momente, da möchte ich mich an einer Tür oder Wand reiben, mir Zuwendung und Kontakt holen.
    Ich wollte das Geld aus seiner Tasche wegen der persönlichen Eigenschaften, nicht so sehr wegen des Wertes. Ich wollte die Intimität und Berührung, seine Berührung, die Flecken seines persönlichen Schmutzes. Ich wollte mir die Scheine übers Gesicht reiben, um mich daran zu erinnern, warum ich ihn erschossen hatte.
    Eine Zeit lang konnte ich mich gar nicht vom Anblick der Leiche lösen. Ich guckte in seinem Mund nach Anzeichen der Verwesung. Da hörte ich den Laut aus seiner Kehle. Ich dachte voller Erwartung, gleich redet er mit mir. Ich hätte nichts dagegen gehabt, noch ein bisschen mit ihm zu reden. Nach allem, was wir in der langen Nacht gesagt haben, ist mir klar geworden, dass ich noch

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