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Cosmopolis

Cosmopolis

Titel: Cosmopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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Zigaretten in Reichweite. Ich will mich wie ein Schriftsteller mit Zigarette fühlen. Nur dass ich auf dem Trockenen sitze, sie sind alle, am Boden der Schachtel waren diese kleinen Krümel, die ich schon restlos aufgeleckt habe, und ich habe nicht übel Lust, an dem Atem des Toten zu riechen, mal nachschmecken, was da ist, vielleicht die Zigarre, die er vor einer Woche in London geraucht hat.
    Im Laufe des Tages gelangte ich immer mehr zu der Überzeugung, dass ich nicht schaffen würde, es zu tun. Dann habe ich es getan. Jetzt muss ich mich daran erinnern, warum.
    Ich dachte, ich würde so viele Jahre, wie es halt dauert, damit zubringen, zehntausend Seiten zu schreiben, dann hätten Sie die Akten, die Literatur eines Lebens im Wachen und im Schlafen, weil auch Träume und kleine Erinnerungspiekser und all die jämmerlichen Gewohnheiten und Heimlichkeiten und all die Dinge um mich herum hineinkommen würden, Geräusche auf der Straße, aber zum ersten Mal begreife ich, jetzt, in diesem Augenblick, dass alles Denken und Schreiben auf der Welt nicht schildern kann, was ich in dem furchtbaren Moment fühlte, als ich die Pistole abfeuerte und ihn fallen sah. Was bleibt da noch, das zu erzählen lohnte?

2
    Das Auto überquerte die Avenue zur West Side und musste sofort abbremsen, weil es den Fußgängerüberweg kreuzte, als die Passanten Grün hatten, und ganze Wellen von ihnen zur Seite drängte.
    Torvals Stimme berichtete von einem Rohrbruch weiter vorn.
    Eric sah seine Personenschutzassistenten, die mit gemessenem Schritt in gleichem Outfit aus dunklem Blazer, grauer Hose und Polorolli neben der Limousine herliefen, einer auf jeder Seite.
    Ein Bildschirm zeigte eine rostrote Schlammsäule, die geysirhoch aus einem Loch in der Erde schoss. Das löste bei Eric ein gutes Gefühl aus. Die anderen Bildschirme zeigten Geldbewegungen. Zahlen glitten horizontal vorbei, und Säulendiagramme pumpten rauf und runter. Er wusste, es gab da etwas, das noch niemand entdeckt hatte, ein latent in der Natur verborgenes Muster, einen Sprung in der Bildsprache, der über die Standardmodelle technischer Analyse hinausging und selbst die geheimnisvolle Diagrammsprache seiner eigenen Jünger auf diesem Gebiet ins Aus prophezeien konnte. Es musste einen Erklärungsansatz für den Yen geben.
    Er war hungrig, er war halb verhungert. Es gab Tage, da wollte er die ganze Zeit essen, mit den Leuten von Angesicht zu Angesicht reden, in einer Fleischwelt leben. Dann hörte er auf, Computermonitore anzustarren, und wandte sich der Straße zu. Gerade waren sie im Diamantenviertel, und er ließ das Fenster herunter. Eine Szenerie tat sich auf, die vor Handel nur so brummte. Fast jeder Laden hatte Schmuck im Schaufenster, und Käufer grasten beide Seiten der Straße ab, schlüpften zwischen Geldtransportern von Banken und Privatfirmen hindurch, um sich edle Schweizer Uhren anzuschauen und in der koscheren Lunchbar zu essen.
    Das Auto kam nur im Schneckentempo voran.
    Chassiden in Gehrock und mit hohem Filzhut standen plaudernd in Hauseingängen, Männer mit randloser Brille und struppigem weißen Bart, unberührt vom Beben der Straße. Da ging der Gegenwert von Hunderten Dollarmillionen hinter den Mauern hin und her, ein derart veraltetes Zahlungsmittel, dass Eric nicht wusste, was er davon halten sollte. Es war hart, glänzend, facettenreich. Es war alles, was er hinter sich gelassen oder nie erlebt hatte, geschnitten und geschliffen, ausgeprägt dreidimensional. Die Leute trugen es und protzten damit. Sie nahmen es ab, wenn sie ins Bett gingen, zum Schlafen oder zum Sex, und sie legten es zum Sex oder zum Sterben an. Sie trugen es tot und begraben.
    Chassiden liefen die Straße entlang, jüngere Männer in dunklem Anzug und enormem Filzhut, mit blassem, leerem Gesicht, Männer, die nur Männer wahrnahmen, dachte er, wenn sie in Läden oder die U-Bahn-Treppen hinunter verschwanden. Er wusste, dass die Händler und Edelsteinschleifer in den Hinterzimmern saßen, und fragte sich, ob immer noch Geschäfte in den Hauseingängen abgeschlossen wurden, mit einem Handschlag und einem jiddischen Segen. In dem Gepräge der Straße erspürte er die Lower East Side der Zwanzigerjahre und die Diamantenzentren in Europa vor dem Zweiten Weltkrieg, Amsterdam und Antwerpen. Er hatte ein bisschen Ahnung von Geschichte. Er sah eine Frau, die bettelnd auf dem Bürgersteig saß, ein Baby in den Armen. Sie sprach eine Sprache, die er nicht identifizieren konnte. Er kannte

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