Cosmopolis
geholt hat.«
Er spürte diese Dinge. Er spürte den Schmerz. Der reiste auf seinen Bahnen. Und informierte Ganglien und Rückenmark. Er war hier in seinem Körper, in der Gestalt, die er theoretisch gern überwunden hätte, während er sie unter der abgemessenen Einwirkung von Hanteln und Gewichten formte. Er wollte sie als überflüssig und übertragbar betrachten. Sie war in Reihen von Informationswellen konvertierbar. Genau das betrachtete er auf dem ovalen Bildschirm, wenn er nicht Jane betrachtete.
»Du umklammerst die Wasserflasche.«
»Das ist dieses Weichplastik.«
»Du umklammerst sie. Du erwürgst sie.«
»Das ist rein von der Sache her.«
»Das ist sexuelle Spannung.«
»Das ist die Alltagsnervosität eines Lebens.«
»Das ist sexuelle Spannung«, sagte er.
Er sagte Ingram, er solle mit der freien Hand rübergreifen und die Sonnenbrille aus der Anzugjacke auf dem Bügel in seiner Nähe angeln. Der Praxiskollege schaffte es. Eric setzte die Brille auf. »An solchen Tagen.«
»Was?«, sagte sie.
»Da schwankt und knickt meine Stimmung. Aber wenn ich mich lebendig und erhaben fühle, bin ich messerscharf. Weißt du, was ich sehe, wenn ich dich anschaue? Ich sehe eine Frau, die schamlos in ihrem Körper leben will. Sag mir, dass das nicht stimmt. Du willst deinem Körper in Muße und Fleischlichkeit folgen. Deshalb musst du laufen, um dem Drang deines eigentlichen Wesens zu entkommen. Sag mir, dass ich das erfinde. Das kannst du nicht. Es steht dir alles ins Gesicht geschrieben, so wie es sich selten in einem Gesicht zeigt. Was sehe ich? Etwas, das faul, sexy und unersättlich ist.«
»Damit kann ich gut leben.«
»Das ist die Frau, die du in deinem Leben bist. Wenn ich dich anschaue, was? Dann bin ich erregter, als ich es seit den ersten lodernden Nächten meiner Sturm-und-Drang-Zeit war. Erregt und verwirrt. Ich schau dich an und merke, wie sich eine Erektion meldet, obwohl die ganze Situation dringend dagegen spricht.«
»Das kann er sich nicht leisten, steif zu werden. Das erlaubt er sich psychologisch nicht«, sagte sie. »Er weiß genau, was da hinten passiert.«
»Trotzdem. An solchen Tagen. Ich schau dich an und fühle mich elektrisiert. Sag mir, dass du es nicht auch fühlst. In dem Augenblick, als du dich da hingesetzt hast in deiner tragischen Joggingkostümierung. Eine traurige Angelegenheit, jüdisch-christliches Joggen. Du bist nicht zum Laufen geboren. Ich schau dich an. Ich weiß, was du bist. Du bist schlaff, du müffelst, und du bist feucht. Eine Frau, die geboren wurde, um angeschnallt dazusitzen, während ihr ein Mann sagt, wie sehr sie ihn erregt.«
»Wieso haben wir eigentlich nie so einen Moment zusammen erlebt?«
»Sex entdeckt uns. Sex durchschaut uns. Deshalb ist er so erschütternd. Er reißt uns den äußeren Anschein vom Leib. Ich sehe eine fast nackte Frau, wie sie erschöpft und bedürftig die Plastikflasche zwischen ihren Schenkeln streichelt. Muss ich, Ehrensache!, in ihr die leitende Angestellte und Mutter sehen? Sie hat einen Mann in einer krass demütigenden Haltung vor sich. Ist das der Mann, für den ich ihn halte, mit der Hose um die Knöchel und rausgestrecktem Hintern? Welche Fragen stellt er sich aus dieser Position in der Welt? Weitreichende Fragen vielleicht. Fragen, wie sie die Wissenschaft beharrlich stellt. Warum etwas und nicht nichts? Warum Musik und nicht Geräusch? Schöne Fragen, die seltsam zu dem erbärmlichen Augenblick passen. Oder ist er in seiner Perspektive eingeschränkt und denkt nur an den Augenblick selbst? An den Schmerz.«
Der Schmerz war lokal, schien aber alles ringsum aufzusaugen, Organe, Objekte, Straßengeräusche, Worte. Er war ein Brennpunkt höllischer Wahrnehmung im Dauerzustand, ohne graduelle Veränderungen und eigentlich gar kein Punkt, sondern ein gebündeltes anderes Hirn, ein Gegenbewusstsein, aber auch das eigentlich nicht, und zwar lokalisiert an der Unterseite seiner Blase. Er ging von innen heraus vor. Er konnte andere Dinge bedenken und besprechen, aber nur innerhalb des Schmerzes. Er lebte in der Drüse, in der siedendheißen Tatsache seiner Biologie.
»Bedauert er, dass er seine Würde und seinen Stolz aufgegeben hat? Oder hegt er einen geheimen Wunsch nach Selbsterniedrigung?« Er lächelte Jane an. »Ist seine Männlichkeit Schwindel? Liebt er sich oder hasst er sich? Ich glaube, das weiß er nicht. Oder es wechselt von einer Minute zur nächsten. Oder die Frage ist so implizit in all seinem Tun
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