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Cosmopolis

Cosmopolis

Titel: Cosmopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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ein paar Sprachen, aber die nicht. Sie schien an dieser Stelle im Beton Wurzeln geschlagen zu haben. Vielleicht war ihr Baby dort geboren worden, unter dem Parkverbot. FedEx-Wagen und UPS. Schwarze Männer trugen Firmenschilder und sprachen mit afrikanischem Murmeln. Cash für Geld und Diamanten. Ringe, Münzen, Perlen, Schmuck en gros, antiker Schmuck. Das war der Souk, das Schtetl. Hier waren die Feilscher und Klatschmäuler, die Altwarenhändler, die Verkäufer von flüchtigen Gerüchten. Die Straße war ein Angriff auf die Wahrheit der Zukunft. Aber er reagierte darauf. Er spürte, wie sie durch jeden Reizempfänger eindrang und elektrisierend auf sein Gehirn übersprang.
    Das Auto hielt abrupt an, und er stieg aus und reckte sich. Der Verkehr vor ihm war ein langes, flüssiges Schimmern, Metall im Leerlauf. Er sah Torval auf sich zukommen.
    »Neue Route ist unumgänglich.«
    »Die Situation ist wie.«
    »Folgendes. Wir haben Hochwasserbedingungen in den Straßen vor uns. Chaos. Folgendes. Es geht um den Präsidenten und wo er sich gerade befindet. Er ist unterwegs. Er ist in Bewegung. Und wo immer er hinkommt, stellt unser Satellit einen Dominoeffekt im Verkehr fest, flächendeckende Lähmung. Und Folgendes. Eine Beerdigung bewegt sich langsam Richtung Downtown und biegt jetzt nach Westen ab. Viele Fahrzeuge, viele Trauergäste zu Fuß. Und schließlich Folgendes. Wir haben einen Bericht von bevorstehender Aktivität in dieser Gegend.«
    »Aktivität.«
    »Unmittelbar bevorstehend. Einzelheiten noch unbekannt. Der Komplex sagt, Vorsicht.«
    Der Mann wartete auf eine Reaktion. Eric sah an ihm vorbei zu einem großen Schaufenster, einem der wenigen in dieser Straße, die nicht Reihen juwelenbesetzter Edelmetalle ausstellten. Er spürte die Straße ringsum, unablässig, die Menschen gingen in kodierten Abfolgen von Gestik und Tanz aneinander vorbei. Sie versuchten zu gehen, ohne aus dem Tritt zu kommen, denn das ist gut gemeint und schwach, aber manchmal waren sie gezwungen, einen Ausfallschritt zu machen oder gar stehen zu bleiben, und fast immer wandten sie den Blick ab. Augenkontakt war eine heikle Angelegenheit. Eine Viertelsekunde Blickwechsel verletzte Übereinkünfte, die die Stadt funktionieren ließen. Wer tritt für wen beiseite, wer schaut wen an oder nicht, wie groß ist der Anstoß, wenn jemand gestreift oder berührt wird? Niemand wollte berührt werden. Es gab einen Pakt der Unberührbarkeit. Selbst hier, im Wirrwarr alter Kulturen, der taktil und engmaschig war und Passanten vermengte mit Wachpersonal und sich ans Schaufenster drückenden Käufern und herumspazierenden Narren, selbst hier berührten die Leute einander nicht.
    Er stand in der Lyriknische vom Gotham Book Mart und blätterte in Gedichtbändchen. Er schmökerte immer in dünnen Büchern, einen halben Finger breit oder weniger, und wählte Gedichte zum Lesen nach Länge und Breite aus. Er suchte nach Gedichten von vier, fünf, sechs Zeilen. Er analysierte solche Gedichte genau, dachte sich in jede Andeutung hinein, und seine Gefühle schienen in dem weißen Raum um die Zeilen herumzuschweben. Es gab Zeichen auf den Seiten, und es gab die Seite selber. Das Weiße war lebenswichtig für die Seele des Gedichts.
    Im Westen ertönten Hupsignale, das elektrische Totengeläut von Notfallwagen, die manchmal immer noch Krankenwagen genannt wurden und die gerade im stehenden Verkehr feststeckten.
    Eine Frau kam vorbei, hinter ihm, und er drehte sich um, zu spät, woher wusste er eigentlich, dass es eine Frau war. Er sah nicht, wie sie den hinteren Verkaufsraum betrat, aber er wusste, dort war sie. Er wusste außerdem, dass er ihr folgen musste.
    Torval war nicht mit in den Buchladen gekommen. Ein Bodyguard stand an der Eingangstür postiert, die Frau in der Truppe, und sie hob kurz die Augen von dem Buch in ihren Händen.
    Er ging durch die Tür in den hinteren Raum, wo mehrere Kunden vergessene Romane in den tiefen Regalen aufstöberten. Eine Frau war dabei, und er brauchte nur einen kurzen Blick auf sie zu werfen, um zu wissen, dass sie nicht die Gesuchte war. Woher wusste er das? Er wusste es nicht, wusste es aber doch. Er sah in den Büros nach, auf den Personaltoiletten, und dann bemerkte er, dass es zwei Durchgänge zu diesem Teil des Ladens gab. Als er zur einen Tür hereingekommen war, hatte sie den Raum durch die andere verlassen, die Frau, die er suchte.
    Er ging zurück in den Hauptverkaufsraum und stand auf den alten Dielen, zwischen

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