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Cosmopolis

Cosmopolis

Titel: Cosmopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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mehr zu sagen hätte. Große Themen gehen mir durch den Kopf. Die Themen Einsamkeit und menschliche Ausgrenzung. Das Thema, wen soll ich hassen, wenn keiner mehr übrig ist.
    Der Komplex ist die Geheimdienstabteilung der Firma. Da habe ich mit meiner weitgehend leeren Drohung angerufen. Ich wusste, sie würden meine Bemerkungen als Spezialwissen eines früheren Angestellten interpretieren und zügig Daten in dieser Richtung zusammentragen. Es war befriedigend für mich, ihnen ihre eigenen Namen zu nennen, bei einem brillanten und vielsagenden Vorstoß sogar den Mädchennamen der Mutter von jemandem, und die Prozeduren und Abläufe detailliert aufzuführen. Ich war damit in ihre Köpfe eingedrungen und stellte den Kontakt her. Ich musste die Last nicht allein tragen.
    Ich habe meinen Schreibtisch, den ich über den Bürgersteig, durch die Seitengasse und die Treppe hochgezerrt habe. Dieses Unterfangen dauerte Tage, mit einem Verfahren von Keilen und Seilen. Zwei Tage habe ich dafür gebraucht.
    Ich habe im Lauf der Zeit nie einen Unterschied gemerkt zwischen Kind und Mann, Junge und Mann. Ich war nie bewusst ein Kind, so, wie der Begriff normalerweise benutzt wird. Ich fühle mich wie dasselbe, was ich immer war.
    Ich schrieb ihm Briefe, nachdem sie mich entlassen hatten, hörte dann aber damit auf, weil ich wusste, wie pathetisch es war. Ich wusste auch, dass es etwas in meinem Leben gab, das unbedingt pathetisch sein musste, aber ich zwang mich dazu, den Kontakt abzubrechen. Die Tatsache, dass er die Briefe nie zu Gesicht bekommen würde, spielte keine Rolle. Ich bekam sie ja zu Gesicht. Eine Rolle spielte, dass ich sie selbst schrieb und sah. Also stellen Sie sich vor, wie überrascht ich war, als ich ihn nicht verfolgen und stellen musste, wozu ich allein gar nicht in der Lage gewesen wäre, noch dazu im Konflikt, ob er nun sterben sollte oder nicht. Und egal, was ich am Telefon zu ihnen sagte und wie zügig sie Informationen zusammentrugen, wie sollten sie aufspüren, wo und wie ich lebe?
    Ich besitze weder eine Armbanduhr noch sonst eine Uhr. Ich denke die Zeit jetzt in anderen Gesamtheiten. Ich denke an meine persönliche Zeitspanne und setze sie gegen die immensen Rechensysteme, die Zeit der Erde, der Sterne, die inkohärenten Lichtjahre, das Alter des Universums usw. Welt soll etwas bezeichnen, das in sich geschlossen ist. Aber nichts ist in sich geschlossen. Alles dringt in etwas anderes ein. Meine kleinen Tage ergießen sich in Lichtjahre. Deshalb kann ich nur vorgeben, jemand zu sein. Und deshalb fühlte ich mich zunächst sekundär, als ich an diesem Text saß. Ich wusste nicht, ob ich derjenige war, der schrieb, oder vielmehr jemand, nach dem ich mich anhören möchte.
    Ich habe immer noch meine Bank, die ich systematisch aufsuche, um mir die buchstäblich letzten Dollars auf meinem Konto anzuschauen. Ich tue das, weil es psychologisch eine Situation fortsetzt, wenn ich weiß, dass ich Geld bei einem Institut habe. Und weil Geldautomaten ein Charisma besitzen, das mich immer noch anspricht.
    Ich arbeite an diesem Tagebuch, während drei Meter weiter ein toter Mann liegt. Darüber muss ich nachdenken. Drei Meter fünfzig weiter. Es hieß, ich hätte ein problematisches Verhältnis zur Normalität, und ich wurde zu den zweitrangigen Währungen herabgestuft. Ich wurde ein minderes technisches Element in der Firma, ein technisches Faktum. Ich war für sie eine unspezifische Arbeitskraft. Und ich akzeptierte das. Dann entließen sie mich fristlos, ohne Abfindung. Und ich akzeptierte das.
    Zu meinen Syndromen gehört aufgeregtes Verhalten und große Verwirrung. In Haiti und Ostafrika kennt man das als Deliriumsschübe, in der Übersetzung. Heutzutage hat man alles auf der Welt mit irgendjemandem gemeinsam. Auf welche Art von Elend trifft das wohl nicht zu?
    Ich habe nicht zum Vergnügen gelesen, auch als Kind nicht. Ich lese nie zum Vergnügen. Das können Sie finden, wie Sie wollen. Ich denke zu viel über mich nach. Ich studiere mich. Das finde ich zum Kotzen. Aber mehr ist an mir nicht dran. Ich bin nichts anderes. Mein sogenanntes Ego ist ein kleines, verdrehtes Etwas, das sich wahrscheinlich von Ihrem gar nicht so sehr unterscheidet, aber zugleich kann ich selbstbewusst behaupten, dass es aktiv und bedeutungsprall ist und die ganze Zeit große Niederlagen und Triumphe erlebt. Ich habe ein Trimmrad mit nur einem Pedal; jemand hat es eines Nachts auf die Straße gestellt.
    Außerdem habe ich meine

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