Cosmopolis
enthalten, dass er sich nicht von ihr lösen kann, um zu antworten.«
Er glaubte, dass ihm ernst war. Er glaubte nicht, dass es Effekthascherei war. Hier handelte es sich um ernste Fragen. Er wusste, sie waren ernst, aber er war sich nicht sicher. »An solchen Tagen. Da schnippt er mit dem Finger, und eine Flamme lodert auf. Jede Sensibilität, seine Einstimmung insgesamt. Dinge stehen kurz davor zu passieren, die normalerweise nie passieren. Sie weiß, was er meint, dass sie sich nicht mal berühren müssen. Was ihm passiert, passiert auch ihr. Sie muss nicht unter den Tisch krabbeln und ihm den Schwanz lutschen. So platt, dass es sie beide nicht interessiert. Die Energie zwischen ihnen ist stark. Die emotionale Spannkraft. Soll sich ruhig frei entfalten. Er sieht die Frau schwelgen und spürt, wie seine Beckenmuskeln zu zittern beginnen. Er sagt: Wenn ich aufhören soll, höre ich auf, sag’s nur. Aber er wartet nicht auf ihre Antwort. Keine Zeit. Seine Spermazellen peitschen ungeduldig mit den Schwänzen. Sie ist sein Schatz, seine Geliebte, seine Schlampe für die Ewigkeit. Er braucht das Unaussprechliche, das er tun will, gar nicht zu tun. Er braucht es nur auszusprechen. Weil sie sich jenseits aller Vorbilder von eingeführtem Verhalten befinden. Er muss nur die Worte sagen.«
»Die Worte sagen. Los.«
»Ich will dich langsam mit einer Flasche ficken, ohne die Sonnenbrille abzunehmen.«
Ihre Füße sausten unter ihr weg. Sie gab etwas von sich, einen Laut, sich selbst, ihre Seele, in schnell steigender Modulation.
Er sah sein Gesicht auf dem Bildschirm, die Augen geschlossen, den Mund als Rahmen eines lautlosen kleinen Affenheulens.
Er wusste, dass die SpyCam ohne Zeitverschiebung arbeitete oder das jedenfalls tun sollte. Wie konnte er sich dann mit geschlossenen Augen sehen? Keine Zeit, das zu analysieren. Er spürte, wie sein Körper zu dem unabhängigen Bild aufschloss.
Dann erreichten Mann und Frau mehr oder weniger gleichzeitig Erfüllung, ohne einander oder sich selbst zu berühren.
Der Praxiskollege riss sich den Handschuh ab und klatschte ihn in den Mülleimer, Abreißen und Wegwerfen, dunkel vor Bedeutung.
Hupen waren straßauf, straßab zu hören. Eric zog sich langsam an und wartete darauf, dass Ingram das Wort »asymmetrisch« benutzte. Doch der sagte nichts. Sein richtiger Arzt, Nevius, hatte das Wort einmal benutzt, beim Betasten, ohne weitere Ausführungen. Er sah Nevius fast täglich, hatte aber nie nach den Konsequenzen des Wortes gefragt.
Er ging gern Antworten auf schwierige Fragen nach. Das war seine Methode, Herrschaft über Konzepte und Menschen zu gewinnen. Aber das Konzept von Asymmetrie hatte etwas. In der Welt außerhalb des Körpers war es spannend, eine Gegenkraft zu Balance und Ruhe, die rätselhafte kleine Verdrehung, subatomisch, die den Schöpfungsprozess in Gang setzte. Zunächst einmal das schlangenartige Wort selbst, leicht aus dem Gleichgewicht, mit dem einzelnen hinzugefügten Buchstaben, der alles änderte. Aber wenn er das Wort aus seinem kosmologischen Register nahm und es auf den Körper eines männlichen Säugetiers anwandte, auf seinen Körper, dann fühlte er sich schnell bleich und verängstigt. Er spürte eine gewisse perverse Ehrerbietung dem Wort gegenüber. Eine Angst davor, eine Distanz dazu. Wenn er das Wort im Zusammenhang von Urin und Samen hörte, wenn er sich das Wort im Schatten von vollgepinkelten Hosen, erstens, und schlaffschwänziger Verzweiflung, zweitens, vorstellte, dann fühlte er sich so heimgesucht, dass er in abergläubisches Schweigen verfiel.
Er setzte die Sonnenbrille ab und musterte Ingram scharf. Er versuchte, in seinem Gesicht zu lesen. Es war gefühlsleer. Er überlegte, dem Praxiskollegen seine Sonnenbrille aufzusetzen, um ihn echt zu machen, ihm eine Bedeutung in der vorbeirauschenden Wahrnehmung anderer Leute zu verleihen, aber dazu hätte die Brille ungetönt und dick und lebensbestimmend sein müssen. Wenn man den Mann zehn Jahre kennen würde, hätte man womöglich die ganze Zeit für die Erkenntnis gebraucht, dass er keine Brille trug. Sein Gesicht war ohne sie verloren.
Nicht Ingram sprach. Sondern Jane Melman, die in der offenen Tür kurz innehielt, bevor sie ihren unterbrochenen Lauf fortsetzte.
»Ich möchte gern etwas sagen, das zutiefst unkompliziert ist. Du hast Zeit, dich zu entscheiden. Du kannst lockerlassen und den Verlust in Kauf nehmen und dich gestärkt zurückmelden. Es ist noch nicht zu spät. Du
Weitere Kostenlose Bücher