Cotton-Malone 03 - Der Pandora-Pakt
Ferne sah man verschwommen die Lichter von Fabriken, die früher einmal die Sowjetunion mit Waren versorgt hatten und nun zum Bruttosozialprodukt der Föderation beitrugen. Die Liga hatte bereits Milliarden in die Modernisierung der Industrie investiert. Und es würde noch mehr Geld fließen. Daher musste Vincenti Bescheid wissen. »Wie wichtig ist es Ihnen, Chefminister zu werden?«
»Das hängt von den Umständen ab. Kann Ihre Liga das denn überhaupt bewerkstelligen?«
»Zovastinas Krankheitserreger jagen mir keine Angst ein. Und Sie brauchen auch keine Angst zu haben.«
»Ach, mein tapferer Freund, ich habe zu viele Regimegegner plötzlich sterben sehen. Es ist erstaunlich, dass das sonst noch niemandem aufgefallen ist, aber ihre Krankheiten sind immer perfekt gewählt. Sie kommen wie eine ganz normale Erkältung oder Grippe daher, die dann plötzlich eine dramatische Wendung nimmt.«
Obwohl die Staatsdiener der Föderation einschließlich Zovastina die Sowjets verabscheuten, hatten sie doch viel von ihren korrupten Vorgängern gelernt. Aus diesem Grund überlegte Vincenti sich immer genau, was er sagte, und machte großzügige Versprechungen. »Ohne Risiko gibt es keinen Gewinn.«
Revin zuckte die Schultern. »Das stimmt. Aber manchmal ist das Risiko zu groß.«
Vincenti blickte auf Samarkand hinaus. Diese alte Stadt stammte aus dem fünften Jahrhundert vor Christus. Sie war die Stadt der Schatten, der Garten der Seele, der Juwel des Islam und die Hauptstadt der Welt. Vor der Eroberung durch den Islam und der späteren Besetzung durch die Sowjets war sie ein christlicher Bischofssitz gewesen. Dank der Sowjets war das zweihundert Kilometer weiter nordöstlich liegende Taschkent heute wesentlich größer und wohlhabender als früher. Doch Samarkand war die Seele der Region geblieben.
Er sah zu Kamil Revin hinüber. »Ich stehe kurz davor, einen für mich persönlich gefährlichen Schritt zu wagen. Meine Zeit als Vorsitzender des Zehnerrats geht ihrem Ende entgegen. Wenn wir handeln wollen, müssen wir es jetzt tun. Es wird Zeit, dass Sie sich klar entscheiden. Wie sieht es aus? Kneifen Sie, oder sind Sie dabei?«
»Ich bezweifle, dass ich morgen noch lebe, wenn ich jetzt aussteige. Also bin ich dabei.«
»Schön, dass wir einander verstehen.«
»Und was haben Sie vor?«, fragte der Außenminister.
Vincenti sah wieder auf die Stadt hinaus. Auf einer der zahllosen Moscheen, die das Bild der Stadt prägten, verkündete eine hell erleuchtete arabische Kalligraphie in mindestens ein Meter hohen Buchstaben: »Gott ist unsterblich«. Trotz ihrer ereignisreichen Geschichte herrschte in der Stadt immer noch die Atmosphäre einer tristen Erhabenheit, von einer Kultur stammend, die schon vor langer Zeit ihre Vorstellungskraft verloren hatte. Zovastina schien entschlossen, diesem Übel entgegenzuwirken. Ihre Vision war klar und eindrucksvoll. Als Vincenti Stephanie Nelle gesagt hatte, dass Geschichte nicht zu seinen Stärken gehöre, hatte er gelogen. Tatsächlich war sie das Ziel seines Strebens. Und nun hoffte er, dass er keinen Fehler beging, wenn er die Vergangenheit wieder zum Leben erweckte.
Aber egal. Er konnte ohnehin nicht mehr zurück.
Also sah er zu seinem Mitverschwörer hinüber und beantwortete dessen Frage ehrlich.
»Ich will die Welt verändern.«
41
Torcello
Viktors Gedanken rasten. Die Schildkröte setzte ihren Angriff auf das Erdgeschoss des Museums fort und zog eine stinkende Spur von Griechischem Feuer hinter sich her. Er überlegte, ob er versuchen sollte, die Türflügel mit Rafaels Hilfe aufzuzwingen, doch er wusste, dass das dicke Holz und der Riegel vor der Tür diese Bemühungen von vornherein zum Scheitern verurteilten.
Die Fenster schienen den einzigen Ausweg zu bieten.
»Hol eins der Päckchen«, sagte er zu Rafael, während seine Blicke den Raum durchforsteten und er sich für das Flügelfenster zu seiner Linken entschied.
Rafael hob eine der durchsichtigen Plastiktüten vom Boden auf.
Das Griechische Feuer sollte die alten schmiedeeisernen Gitter und die Bolzen, mit denen sie in der Außenwand verankert waren so brüchig machen, dass sie sich aufbrechen ließen. Viktor zog eine der Pistolen, die sie im Lagerhaus abgeholt hatten, und wollte gerade die Fensterscheiben herausschießen, als auf der anderen Seite des Raums Glas klirrte.
Jemand hatte das Fenster von außen zerschossen.
Viktor und Rafael gingen in Deckung und warteten ab, was als Nächstes passieren würde. Die
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