Cotton Malone 04 - Antarctica
»Das hier ist nicht der schnellste Scanner.«
Malone hatte das Buch aus der Kirche in der Hand. Sie hatten alle Seiten durchgeblättert, die eine vollständige Übersetzung jedes Buchstabens der Sprache des Himmels in sein lateinisches Gegenstück zu enthalten schienen.
»Dir ist klar, dass das keine ganz exakte Übersetzung wird«, sagte sie. »Einige der Buchstaben könnten eine doppelte Bedeutung haben. Oder es könnte der entsprechende Buchstabe oder Laut im Lateinischen fehlen. So was eben.«
»Deinem Großvater ist es gelungen.«
Sie betrachtete ihn mit einer sonderbaren Mischung aus Verärgerung und Dankbarkeit. »Ich kann auch sofort Lateinisch in Deutsch oder Englisch übertragen. Ich wusste ja nicht genau, was zu erwarten war. Auch war ich mir nie ganz sicher, ob man Großvater Glauben schenken konnte. Vor einigen Monaten hat Mutter mir erlaubt, einige seiner Notizbücher einzusehen. Und ebenso die von Vater. Aber dem war wenig zu entnehmen. Offensichtlich hat sie mir alles vorenthalten, was sie für wichtig hielt. Die Karten zum Beispiel. Oder die Bücher aus den Gräbern Einhards und Karls des Großen. Und so hat es für mich immer den Zweifel gegeben, ob Großvater nicht einfach nur ein Narr war.«
Er staunte über ihre Offenheit. Die war erfrischend. Aber auch verdächtig.
»Du hast all die Nazi-Erinnerungsstücke gesehen, die er gesammelt hat. Er war wie besessen. Das Sonderbare ist: Er schien es geradezu zu bedauern, dass der Untergang des Dritten Reichs für ihn keine persönliche Katastrophe wurde. Am Ende war er einfach nur noch verbittert. Es war beinahe ein Segen, dass er seinen Verstand verlor.«
»Aber jetzt gibt es eine neue Chance zu beweisen, dass er recht hatte.«
Das Gerät gab mit einem Piepton zu erkennen, dass es bereit war.
Sie nahm ihm das Buch aus der Hand. »Und ich habe vor, diese Chance auch wirklich zu nutzen. Was machst du, während ich arbeite?«
Er legte sich aufs Bett zurück. »Ich habe die Absicht zu schlafen. Weck mich, wenn du fertig bist.«
Ramsey vergewisserte sich, dass Diane McCoy Fort Lee verlassen hatte und auf dem Rückweg nach Washington war. Er betrat das Lagerhaus nicht erneut, um nicht noch mehr Aufmerksamkeit zu erregen. Dem Stützpunktkommandanten erklärte er, er sei Zeuge eines kleineren Zuständigkeitsstreits zwischen dem Weißen Haus und der Navy geworden. Falls er sich gefragt hatte, was es mit dem ganzen hochrangigen Besuch der letzten Tage auf sich haben mochte, schien er mit dieser Erklärung zufrieden zu sein.
Ramsey sah auf die Uhr. 20.50 Uhr.
Er saß in einer kleinen Trattoria am Rande Washingtons an einem Tisch. In diesem mit schlichtem Understatement eingerichteten Lokal gab es gutes italienisches Essen und einen ausgezeichneten Weinkeller. Doch heute Abend war ihm das alles völlig gleichgültig.
Eine Frau betrat das Restaurant. Sie war hochgewachsen und schlank und trug einen Samtmantel und Vintage-Jeans. Ein beigefarbener Kaschmirschal war um ihren Hals geschlungen. Sie wand sich zwischen den voll besetzten Tischen hindurch und setzte sich zu ihm.
Es war die Frau aus dem Kartenladen.
»Ihre Sache mit dem Senator haben Sie gut gemacht«, sagte er. »Das war ein Volltreffer.«
Sie nahm das Lob mit einem Nicken entgegen.
»Wo befindet sie sich jetzt?«, fragte er. Er hatte angeordnet, dass Diane McCoy überwacht wurde.
»Das wird Ihnen nicht gefallen.«
Ein Schauder lief ihm den Rücken hinunter.
»Sie ist mit Kane zusammen. In diesem Moment.«
»Wo denn?«
»Sie haben das Lincoln Memorial besucht und sind dann am Wasserbecken entlang zum Washington Monument gegangen.«
»Kalte Nacht für einen Spaziergang.«
»Wem sagen Sie das. Ich habe einen Mann hinter ihr hergeschickt. Sie ist jetzt auf dem Heimweg.«
Das alles war sehr beunruhigend. Die einzige Verbindung zwischen McCoy und Kane war Ramsey selbst. Er hatte geglaubt, er hätte sie beschwichtigt. Hatte er ihre Entschlossenheit unterschätzt?
Das Handy in seiner Jackentasche klingelte. Er schaute darauf: Hovey.
»Ich muss das Gespräch annehmen«, sagte er. »Könnten Sie bitte bei der Tür warten?«
Sie verstand und ging.
»Was ist?«, sagte er ins Handy.
»Das Weiße Haus ist am Apparat. Man will mit Ihnen sprechen.«
Das war nichts Ungewöhnliches. »Und?«
»Es ist der Präsident.«
Das war ungewöhnlich.
»Verbinden Sie uns.«
Ein paar Sekunden später hörte er die dröhnende Stimme, die die ganze Welt kannte. »Admiral, ich hoffe, Sie haben einen
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