Cotton Malone 04 - Antarctica
Nicht so richtig, aber sie war dennoch sehr fortgeschritten. In Mathematik, Architektur, Chemie, Biologie, Geologie, Meteorologie und Astronomie. Da zeichnete sie sich aus.«
Er hörte zu.
»Unsere Vorstellung der Frühgeschichte ist stark von der Bibel beeinflusst. Doch deren Texte betrachten das Altertum aus einer insularen Sicht. Sie geben ein verzerrtes Bild alter Kulturen, und manche wichtigen Kulturen, wie etwa die der Minoer, werden auch vollkommen ausgelassen. Jene besondere Kultur, über die ich spreche, ist nicht biblisch. Es handelte sich um eine seefahrende Gesellschaft, die weltweit Handel trieb und über seetüchtige Boote und fortgeschrittene Navigationskenntnisse verfügte. Spätere Kulturen wie die der Polynesier, der Phönizier, der Wikinger und schließlich der Europäer haben diese Fertigkeiten schließlich auch entwickelt, aber die Zivilisation Eins hat sie als Erste gemeistert.«
Malone hatte über diese Theorien gelesen. Die meisten Wissenschaftler lehnten inzwischen die Vorstellung einer linearen Gesellschaftsentwicklung von der Altsteinzeit über die Neusteinzeit, die Bronzezeit und die Eisenzeit ab. Vielmehr waren die Gelehrten der Meinung, dass die Kulturen sich unabhängig voneinander entwickelt hatten. Beweise dafür gab es selbst heute noch auf jedem Kontinent, wo primitive Kulturen mit fortschrittlichen Gesellschaften koexistierten. »Sie wollen sagen, dass es in vergangenen Jahrtausenden, als Europa noch in der Altsteinzeit war, anderswo schon fortschrittlichere Kulturen gegeben haben könnte.« Er erinnerte sich an Dorothea Lindauers Vortrag. »Geht es wieder um Arier?«
»Wohl kaum. Die sind ein Mythos. Aber der Mythos könnte eine reale Grundlage haben. Nehmen Sie Kreta oder Troja. Die hielt man auch lange Zeit für rein fiktiv, aber wir wissen inzwischen, dass es sie wirklich gegeben hat.«
»Und was ist mit dieser ersten Zivilisation geschehen?«
»Unglückseligerweise trägt jede Kultur schon den Keim ihrer eigenen Zerstörung in sich. Fortschritt und Zerfall gehen Hand in Hand. Die Geschichte zeigt uns, dass alle Gesellschaften irgendwann selbst das Fundament zu ihrem Untergang legen. Denken Sie an Babylon, Griechenland, Rom, die Mongolen, die Hunnen, die Türken und zahllose Königreiche. Sie tun es sich immer selbst an. Da war Zivilisation Eins keine Ausnahme.«
Was sie sagte, ergab Sinn. Menschen schienen wirklich so viel zu vernichten, wie sie schufen.
»Großvater und Vater waren beide besessen von dieser verlorenen Zivilisation. Und ich muss gestehen, dass ich ebenfalls davon fasziniert bin.«
»In meinem Buchantiquariat gibt es mehr als genug New-Age-Material über Atlantis und ein Dutzend andere sogenannte verlorene Gesellschaften, von denen aber nie die geringste Spur gefunden wurde. Das ist reine Fantasie.«
»Kriege und Eroberungen haben der Menschheitsgeschichte ihren Zoll abverlangt. Die Geschichte verläuft zyklisch. Auf Fortschritt folgen Krieg und Zerstörung, und dann kommt ein Wiedererwachen. Es gibt eine soziologische Binsenweisheit. Je fortschrittlicher eine Kultur ist, desto leichter wird sie zerstört und desto weniger Spuren hinterlässt sie. Einfacher gesagt, wir finden nur, was wir suchen.«
Er fuhr langsamer. »Nein, das ist falsch. Meistens stolpern wir einfach über etwas.«
Sie schüttelte den Kopf. »Die größten Erkenntnisse der Menschheit haben alle mit einer einfachen Theorie begonnen. Erst nachdem Darwin seine Ideen postuliert hatte, fielen uns all die Hinweise auf, die seine Theorie bestätigen. Kopernikus schlug eine radikal neue Sichtweise auf das Sonnensystem vor, und als wir schließlich hinsahen, stellten wir fest, dass er recht hatte. Vor den letzten fünfzig Jahren hat keiner ernsthaft geglaubt, dass uns eine fortgeschrittene Zivilisation vorangegangen sein könnte. Das hielt man für Unsinn. Und so wurden die Beweise dafür einfach übergangen.«
»Was für Beweise?«
Sie zog Einhards Buch aus ihrer Tasche. »Dies hier.«
… März 800. Karl der Große reitet von Aachen aus nordwärts. Nie zuvor ist er um diese Jahreszeit, da kalte Winde gegen die Küste anstürmen und der Fischfang kärglich ist, bis zum gallischen Meer geritten. Aber er besteht auf dieser Reise. Drei Soldaten und ich begleiten ihn, und der Ritt nimmt den größten Teil eines Tages in Anspruch. Nach unserer Ankunft schlagen wir das Lager am üblichen Ort hinter den Dünen auf, die uns aber wenig Schutz vor einem starken Wind bieten. Drei Tage nach
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