Cotton Malone 04 - Antarctica
und dem kurzarmigen Hakenkreuz wurde ebenfalls nur von Angehörigen des Ahnenerbes getragen. Großvater hat es entworfen. Die Krawattennadel ist recht speziell – eine Darstellung des Irminsul oder Lebensbaumes der Sachsen. Der wuchs angeblich bei den Externsteinen in Detmold und wurde von Karl dem Großen persönlich gefällt, womit der lange Krieg zwischen den Sachsen und den Franken begann.«
»Sie sprechen ja beinahe mit Ehrfurcht von diesen Relikten.«
»Wirklich?« Sie klang verblüfft.
»Als ob sie Ihnen etwas bedeuten.«
Sie zuckte die Schultern. »Sie erinnern einfach nur an die Vergangenheit. Mein Großvater hat das Ahnenerbe aus rein kulturellen Gründen initiiert, aber dann hat es sich zu etwas ganz anderem entwickelt. Das Institut für wehrwissenschaftliche Zweckforschung führte grauenhafte Experimente an KZ-Häftlingen durch. Untersuchungen zu Unterdruck, Unterkühlung und Blutgerinnung. Einfach furchtbar. Die Abteilung für darstellende und angewandte Naturkunde stellte eine Sammlung aus den Knochen eigens ermordeter jüdischer Frauen und Männer zusammen. Später wurden mehrere Angehörige des Ahnenerbes wegen Kriegsverbrechen hingerichtet. Viele weitere kamen ins Gefängnis. Man sprach nur noch mit Abscheu von der Gesellschaft.«
Malone beobachtete sie genau.
»An all dem hatte mein Großvater keinen Anteil«, erklärte sie, da sie anscheinend seine Gedanken las. »All das ist geschehen, nachdem er entlassen und öffentlich gedemütigt worden war.« Sie stockte. »Lange nachdem er sich wie ein Gefangener in die Einsamkeit dieser Burg und der Abtei zurückgezogen hatte, wo er alleine arbeitete.«
Neben der Fahne des Ahnenerbes hing ein Wandteppich, auf dem derselbe Lebensbaum wie auf der Krawattennadel zu sehen war. Unten waren Worte eingewebt, die Malone ins Auge fielen. KEIN VOLK LEBT LÄNGER ALS DIE DOKUMENTATION SEINER KULTUR.
Sie bemerkte seinen Blick. »Mein Großvater hat an diese Aussage geglaubt.«
»Und Sie auch?«
Sie nickte. »Ja.«
Er verstand noch immer nicht, wieso die Oberhausers diese Sammlung in einem klimatisierten Raum aufbewahrten, in dem kein einziges Stäubchen zu sehen war. Aber er begriff einen der Gründe, die Christl genannt hatte. Auch er respektierte seinen Vater. Obwohl dieser den größten Teil von Malones Kindheit gefehlt hatte, erinnerte er sich doch an die gemeinsam verbrachte Zeit, wenn sie mit einem Baseball gespielt hatten, geschwommen waren oder ums Haus herum gewerkelt hatten. Noch Jahre nach dem Tod seines Vaters war er wütend gewesen, dass ihm etwas vorenthalten blieb, was seine Freunde, die noch beide Eltern hatten, für selbstverständlich nahmen. Seine Mutter hatte nie zugelassen, dass er seinen Vater vergaß, doch erst als er älter wurde, hatte er begriffen, dass ihre Erinnerungen vielleicht nicht die schönsten waren. Das Leben als Frau eines Navy-Offiziers war nicht leicht – genauso wenig wie das Leben als Frau eines Agenten, das Malones Exfrau schließlich nicht mehr ausgehalten hatte …
Christl ging Malone durch die Ausstellung voran. Jede Biegung brachte neue Beweise von Hermann Oberhausers Leidenschaft zum Vorschein. Sie blieb vor einem bunt bemalten Holzschrank stehen, der den Schränken in der Abtei ähnelte. Aus einer seiner Schubladen holte sie eine einzelne Seite, die in einer festen Plastikhülle steckte.
»Dies hier ist das Original von Einhards letztem Willen und Testament. Großvater hat es gefunden. Eine Kopie davon wurde in der Abtei aufbewahrt.«
Er betrachtete das Dokument, das eine eng auf Lateinisch beschriftete Pergamenthandschrift zu sein schien. Die Tinte war zu einem hellen Grau verblasst.
»Auf der Rückseite steht die deutsche Übersetzung«, sagte Christl. »Der letzte Abschnitt ist der entscheidende.«
Im Leben galt mein Treueschwur meinem gottesfürchtigen Herrn – Karl, dem Kaiser und Augustus, der mir befahl, jede Erwähnung des Tartarus zu unterlassen. Ein vollständiger Bericht dessen, was ich weiß, wurde vor langer Zeit am Todestag Kaiser Karls ehrfurchtsvoll seinem Grab beigegeben. Falls das heilige Grab je geöffnet wird, sollen diese Seiten nicht aufgeteilt werden, sondern wisset, dass Karl sie jenem heiligen Herrscher zuteilwerden lassen möchte, der dann die Kaiserkrone hält. Diese Wahrheiten zu lesen würde vieles enthüllen. Nachdem ich erleben musste, welche Missachtung Kaiser Ludwig den großen Bemühungen seines Vaters zeigte, bestimmen mich Gottesfurcht und Vorsicht dazu, die
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