Cotton Malone 04 - Antarctica
Führerin sprach Englisch. Etwa zwanzig Leute hatten sich der Führung angeschlossen. Beilgesicht war nicht unter ihnen. Aus irgendeinem Grund hatte ihr Beschatter beschlossen, draußen zu warten. Vielleicht hatte die Enge im Dom ihn zur Vorsicht veranlasst. Dass dort kein Menschengedränge herrschte, mochte ebenfalls zu seiner Entscheidung beigetragen haben. Die Stühle unter der Kuppel standen leer, und außer der geführten Gruppe schlenderten nur noch etwa ein Dutzend andere Leute herum.
Ein Blitzlicht traf die Wände, als jemand ein Foto machte. Einer der Aufseher stürzte sich auf die Frau mit der Kamera.
»Fürs Fotografieren wird eine Gebühr verlangt«, flüsterte Christl.
Er sah zu, wie die Besucherin dem Aufseher ein paar Euro reichte und dieser sie mit einem Armband versah.
»Jetzt ist es legal?«, fragte er.
Christl lächelte. »Es ist nicht billig, diesen Bau hier zu unterhalten.«
Malone lauschte dem, was die Führerin über den Dom erklärte, wobei der größte Teil der Informationen dem entsprach, was er schon in den Büchern über den Dom gelesen hatte. Er hatte die Führung mitmachen wollen, weil nur geführte Gruppen zu bestimmten Teilen des Doms zugelassen waren, insbesondere oben, wo der Königsthron stand.
Sie traten mit den anderen Besuchern in eine von sieben Seitenkapellen, die den karolingischen Baukern in einem Kranz umgaben. Dies hier war die Michaelskapelle – sie war kürzlich renoviert worden, wie die Führerin erklärte. Hölzerne Kirchenbänke standen vor einem Marmoraltar. Mehrere Teilnehmer der Führung entzündeten Kerzen. Malone entdeckte eine Tür in der Westwand der Kapelle und nahm an, dass dies der andere Ausgang war, der ihm bei der Lektüre der Domführer ins Auge gefallen war. Die schwere Holztür war geschlossen. Er ging lässig durch die nur schwach erleuchtete Kapelle, während die Führerin weiter über die Geschichte schwadronierte. Bei der Tür blieb er stehen und prüfte rasch den Griff. Sie war verschlossen.
»Was machen Sie da?«, fragte Christl.
»Ich löse Ihr Problem.«
Sie folgten der Führerin vorbei am Hauptaltar zum gotischen Chor, einem weiteren Bereich des Doms, der nur geführten Gruppen offenstand. Im Oktogon blieb Malone noch einmal stehen und betrachtete eine Mosaikinschrift, die über der unteren Bogenreihe entlanglief. Sie bestand aus schwarzen lateinischen Buchstaben auf einem goldenen Untergrund. Christl trug die Einkaufstüte mit den Reiseführern. Rasch fand er das Buch, das er in Erinnerung hatte, eine schmale Broschüre mit dem treffenden Titel: Der kleine Aachener Domführer, und stellte fest, dass der im Buch abgedruckte lateinische Text der Inschrift des Mosaiks entsprach.
CUM LAPIDES VIVI PACIS CONPAGE LIGANTUR
INQUE PARES NUMEROS OMNIA CONVENIUNT
CLARET OPUS DOMINI TOTAM QUI CONSTRUIT
AULAM EFFECTUSQUE PUS DAT STUDIIS HOMINUM
QUORUM PERPETUI DECORIS STRUCTURA
MANEBIT SI PERFECTA AUCTOR PROTEGAT ATQUE
REGAT SIC DEUS HOC TUTUM STABILI FUNDAMINE
TEMPLUM QUOD KAROLUS PRINCEPS CONDIDIT ESSE VELIT
Christl bemerkte sein Interesse. »Das ist die Weihinschrift des Doms. Ursprünglich war sie auf den Stein gemalt. Das Mosaik ist ein Zusatz jüngeren Datums.«
»Aber die Worte sind dieselben wie in den Tagen Karls des Großen?«, fragte er. »Und sie stehen an derselben Stelle?«
Sie nickte. »Soweit man das weiß.«
Er lächelte. »Die Geschichte dieses Baus ist wie meine Ehe. Da war auch nie etwas richtig klar.«
»Und was ist mit Frau Malone geschehen?«
Er bemerkte ihren interessierten Tonfall. »Sie hat entschieden, dass Herr Malone unausstehlich ist.«
»Da hat sie vielleicht recht.«
»Glauben Sie mir, Pam hatte immer in allem recht.« Aber für sich fügte er doch eine Einschränkung hinzu, die er erst Jahre nach ihrer Scheidung begriffen hatte. Beinahe. Im Hinblick auf ihrer beider Sohn hatte sie unrecht gehabt. Aber er würde Garys Abstammung nicht mit dieser Fremden diskutieren.
Wieder betrachtete er die Inschrift. Die Mosaike, der Marmorboden und die Marmorverkleidung der Wände waren keine zweihundert Jahre alt. In der Zeit Karls des Großen und Einhards mussten die Wände rau verputzt und bemalt gewesen sein. Jetzt Einhards Anweisung zu folgen und im neuen Jerusalem zu beginnen konnte sich als wenig vielversprechend erweisen, da aus der Zeit vor zwölfhundert Jahren nichts erhalten geblieben war. Aber Hermann Oberhauser hatte das Rätsel gelöst. Wie sonst hätte er etwas finden sollen? Das
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