Cotton Malone 04 - Antarctica
habe.«
Dorothea zeigte auf Werner. »Warum hast du ihn ins Vertrauen gezogen?«
»Du brauchst Hilfe. Die wird er dir leisten.«
»Ich brauche nichts von ihm.« Sie stockte. »Oder von dir, alte Frau.«
Ihre Mutter holte mit der Hand aus und schlug Dorothea ins Gesicht. »Wage es nicht noch einmal, mich so anzureden. Das lasse ich nicht zu. Jetzt nicht und niemals.«
Dorothea rührte sich nicht. Ihre alte Mutter hätte sie vielleicht bezwingen können, doch mit Ulrich Henn war das eine andere Sache. Vorsichtig tastete sie ihre Wange von innen mit der Zunge ab.
Ihre Schläfe pulsierte.
»Ich bin heute Abend hierhergekommen, um klar zu sagen, was Sache ist«, erklärte Isabel. »Werner ist jetzt Teil des Ganzen. Ich habe ihn ins Vertrauen gezogen. Diese Suche geschieht auf meine Veranlassung. Wenn du die Regeln nicht akzeptieren willst, kann ich die Suche jetzt abbrechen. Dann bekommt deine Schwester alles.«
Sie maß Dorothea mit einem scharfen Blick. Diese merkte, dass die Worte ihrer Mutter keine leere Drohung waren.
»Du willst erben, Dorothea, das weiß ich. Du bist mir ähnlich. Ich habe dich beobachtet. Du hast hart im Familienunternehmen gearbeitet, und du machst das, was du tust, gut. Du hast diesen Mann in der Jagdhütte erschossen. Du hast Mut, und der fehlt deiner Schwester manchmal. Sie hat Visionen, und die fehlen dir manchmal. Schade, dass das Beste von euch nicht in einer einzigen Person vereinigt sein kann. Irgendwie war in meinem Inneren vor langer Zeit alles im Chaos, und leider hat jede von euch darunter gelitten.«
Dorothea sah Werner an.
Vielleicht liebte sie ihn nicht, aber verdammt, manchmal brauchte sie ihn auf eine Weise, die nur jemand verstehen konnte, der selbst sein Kind überlebt hatte. Ihre Gemeinsamkeit war die geteilte Trauer. Der betäubende Schmerz über Georgs Tod hatte Barrieren zwischen ihnen errichtet, die sie zu respektieren gelernt hatten. Und doch, während ihre Ehe gescheitert war, hatte ihr Leben außerhalb davon Früchte getragen. Ihre Mutter hatte recht. Das Unternehmen war ihre Leidenschaft. Ehrgeiz ist eine mächtige Droge, die alles dämpft, auch jedes fürsorgliche Gefühl.
Werner verschränkte die Arme hinter dem Rücken und stand aufrecht da wie ein Krieger. »Vielleicht sollten wir vor unserem Tod noch das genießen, was uns vom Leben bleibt.«
»Ich wusste gar nicht, dass du über deinen Tod nachgrübelst. Du bist völlig gesund und kannst noch viele Jahre leben.«
»Nein, Dorothea, ich kann noch viele Jahre atmen. Leben ist etwas ganz anderes.«
»Was willst du eigentlich, Werner?«
Er senkte den Kopf und trat dicht an eines der dunklen Fenster heran. »Dorothea, wir befinden uns an einem Scheideweg. In den nächsten paar Tagen könnte dir der Höhepunkt deines Lebens bevorstehen.«
»Er könnte bevorstehen? Was für ein Vertrauen.«
Seine Mundwinkel zogen sich nach unten. »Das war mit aller Hochachtung gesagt. Auch wenn wir in vielem nicht einer Meinung sind, bin ich doch nicht dein Feind.«
»Wer ist es denn dann, Werner?«
Sein Blick wurde stahlhart. »Du brauchst keinen. Du bist selber dein ärgster Feind.«
Malone trat von der Kanzel herunter. »Die Offenbarung ist das letzte Buch des Neuen Testaments, in dem Johannes seine Vision eines neuen Himmels, einer neuen Erde und einer neuen Wirklichkeit beschreibt.« Er zeigte ins Oktogon. »Das Gebäude hier symbolisierte diese Vision. Er wird in ihrer Mitte wohnen und sie werden sein Volk sein. So steht es in der Offenbarung. Karl der Große hat dieses Bauwerk errichtet und hier in der Mitte seines Volkes gewohnt. Zweierlei allerdings war entscheidend. Länge, Breite und Höhe des Gebäudes mussten gleich sein und die Wände mussten hundertvierundvierzig altertümliche Ellen messen. Zwölf mal zwölf.«
»Sie machen Ihre Sache gut«, sagte Christl.
»Acht war ebenfalls eine wichtige Zahl. Die Welt wurde in sechs Tagen erschaffen und Gott ruhte am siebten. Der achte Tag, an dem alles vollendet war, stand für Jesus, seine Auferstehung und den Beginn seines großartigen, alles vollendenden Krönungswerks. Deshalb haben wir hier ein Achteck, das von einem Sechzehneck umschlossen ist. Doch dann gingen die Bauherren dieser Kirche noch einen Schritt weiter.
Löse dieses Rätsel, indem du die Vollkommenheit des Engels auf die Heiligung unseres Herrn anwendest. Das sind Einhards Worte. Die Offenbarung handelt von Engeln und dem, was sie bei der Gründung des ›Neuen Jerusalem‹ taten. Zwölf
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