Cotton Malone 05 - Der Korse
»Wir können uns nicht mit seinen Gefühlen abgeben. Du kennst die Regeln. Wir haben einen Job zu erledigen.«
»Er ist mein Freund. Und außerdem hasse ich Regeln.«
»Du hilfst ihm.«
»Er sieht das anders.«
Der Verkehr war dicht, und der Regen machte das Chaos noch schlimmer. Wo die imposanten Fassaden zu beiden Seiten der Straße zum grauen Himmel hinaufragten, wanderten Malones Augen über Geländer, Balkone und Dächer. Er bemerkte mehrere Antiquariats-Buchhandlungen, die Schaufenster voller Werbeposter, zerfledderter Druckschriften und geheimnisvoller Bände.
Er dachte an seinen eigenen Laden.
Den er von Thorvaldsen hatte – seinem Vermieter und Freund. Und da waren ihre donnerstäglichen Abendessen in Kopenhagen. Seine vielen Ausflüge nach Christiangade. Ihre Abenteuer. Sie hatten viel Zeit zusammen verbracht.
»Sam wird alle Hände voll zu tun haben«, murmelte er.
Eine Flut von Taxis ließ erkennen, dass sie sich dem Gare du Nord näherten. Lyons Anweisungen hatten gelautet, dass sie wieder anrufen sollten, wenn sie den Bahnhof sahen.
Stephanie wählte.
Sam kam aus dem Métro-Bahnhof und eilte, unter den Vordächern der geschlossenen Geschäfte Schutz suchend, durch den Regen auf einen Platz zu, der als PL. JEAN JAURÈS gekennzeichnet war. Links von ihm erhob sich die Basilika Saint-Denis, deren mittelalterliche ästhetische Harmonie durch einen sonderbarerweise fehlenden Turm verdorben war. Er hatte sich für die Métro als den schnellsten Weg nach Norden entschieden und war damit dem spätnachmittäglichen Weihnachtsverkehr ausgewichen.
War Thorvaldsen in die Kirche gegangen?
Er hielt ein junges Paar auf dem Weg zur Métro an, erkundigte sich nach der Basilika und erfuhr, dass das Gebäude seit dem Sommer wegen umfangreicher Reparaturarbeiten geschlossen war. Ein Baugerüst, das die Basilika von außen umgab, bestätigte diese Tatsache.
Dann sah er Thorvaldsen und Meagan vielleicht fünfzig Meter entfernt bei einem der Bauwagen, die auf der linken Seite geparkt waren.
Er ging auf sie zu.
Ashby schlug seinen Mantelkragen gegen den Regen hoch und ging mit Caroline und Peter Lyon die verlassene Straße entlang. Der bleigraue Himmel hing tief über der Stadt. Sie waren der Seine mit dem Boot in Westrichtung gefolgt, bis der Fluss eine Biegung nach Norden aus Paris hinaus gemacht hatte. Schließlich waren sie in einen Kanal gefahren und hatten an einem Betonkai in der Nähe einer Autobahnbrücke einige Blocks südlich der Basilika Saint-Denis angelegt.
Sie waren an einem mit Säulen geschmückten Gebäude vorbeigekommen, das als MUSÉE D’ART ET D’HISTOIRE gekennzeichnet war, und Lyon hatte sie unter den Säulenvorbau geführt.
Das Handy ihres Entführers läutete.
Lyon nahm ab, hörte einen Moment lang zu und sagte dann: »Nehmen Sie den Boulevard de Magenta nach Norden und biegen Sie auf den Boulevard de Rochechouart ein. Rufen Sie mich wieder an, wenn sie die Place de Clichy gefunden haben.«
Lyon legte auf.
Caroline war noch immer außer sich vor Angst. Ashby fragte sich, ob sie vielleicht in Panik geraten und die Flucht versuchen würde. Das wäre dumm. Ein Mann wie Lyon würde sie sofort erschießen – Schatz hin oder her. Die klügste Vorgehensweise und tatsächlich ihre einzige Option bestand darin, auf einen Fehler zu hoffen. Wenn der ausblieb, konnte er diesem Ungeheuer vielleicht etwas Nützliches anbieten, wie zum Beispiel eine Bank, über die er Geld waschen konnte, ohne dass Fragen gestellt wurden.
Damit würde er sich befassen, wenn es so weit war.
Im Moment aber hoffte er einfach nur, dass Caroline die Antworten auf die Fragen wissen würde, die Lyon ihnen bald stellen würde.
68
Thorvaldsen und Meagan entfernten sich auf der Nordseite der Basilika über einen Kiesweg vom Kirchvorplatz.
»Es gibt eine ehemalige Abtei«, berichtete Meagan. »Sie liegt auf der Südseite. Sie ist nicht so alt wie die Basilika. Neunzehntes Jahrhundert, wobei allerdings Teile davon sehr weit zurückreichen. Heute ist dort eine Art Lehranstalt untergebracht. Die Abtei ist eng mit der Legende verknüpft, die von diesem Ort hier erzählt wird. Nachdem er auf dem Montmartre enthauptet worden ist, soll der heilige Dionysius, der erste Bischof von Paris, losgegangen sein und seinen Kopf mit sich getragen haben. Dort, wo er schließlich hinfiel, wurde er von einer frommen Frau begraben. An dieser Stelle entstand eine Abtei, die sich letztlich« – sie zeigte auf die Kirche – »zu
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