Cotton Malone 05 - Der Korse
hohen Mauern abstützte. Er wusste natürlich, dass die tragenden Elemente in Gestalt von Strebebögen nach außen verlagert waren. Er zwang sich, sich auf Einzelheiten zu konzentrieren, um sich von dem Druck abzulenken, unter dem er stand. Er musste nachdenken. Um zum Handeln bereit zu sein, wenn der richtige Moment kam.
»Miss Dodd«, sagte Lyon. »Was jetzt?«
»Ich kann mit dieser Waffe vor der Nase nicht nachdenken«, stieß Caroline hervor. »Unmöglich. Ich mag Pistolen nicht. Ich mag Sie nicht. Und ich mag nicht hier sein.«
Lyons brutale Augen verengten sich. »Wenn Ihnen das hilft, bitte schön.« Er steckte die Waffe unter den Mantel und zeigte zwei leere Hände in Handschuhen. »Besser so?«
Caroline rang um Fassung. »Sie bringen uns doch sowieso um. Warum sollte ich Ihnen irgendetwas verraten?«
Aller Charme wich aus Lyons Gesicht. »Wenn wir erst einmal gefunden haben, was hier zu finden ist, ändere ich vielleicht meine Meinung. Außerdem beobachtet Lord Ashby jede meiner Bewegungen und wartet nur darauf, dass ich einen Fehler mache. Dann werden wir ja sehen, ob er wirklich ein Mann ist.«
Ashby klammerte sich am letzten Rest seines Muts fest. »Vielleicht bekomme ich ja eine solche Gelegenheit.«
Lyons Lippen verzogen sich zu einem belustigten Lächeln. »Das hoffe ich doch. Und jetzt, Miss Dodd, wohin gehen wir?«
Thorvaldsen lauschte von der halb geöffneten Tür her, die Ashby aufgebrochen hatte. Er und Meagan waren Ashby, Caroline Dodd und dem Mann im grünen Mantel nachgeschlichen. Thorvaldsen war sich ziemlich sicher, dass es sich bei dieser dritten Person um denselben Mann handelte, der zusammen mit Ashby vom Ausflugsboot gesprungen war.
»Was machen wir jetzt?«, flüsterte Meagan ihm ins Ohr.
Er musste die Zusammenarbeit beenden, also gab er Meagan ein Zeichen zum Rückzug.
Sie traten wieder in den Regen und eilten zu ihrer früheren Zuflucht unter dem geschützten Durchgang zurück. Er bemerkte Toiletten und einen Ticketschalter und nahm an, dass hier die Stelle war, wo die Besucher der Basilika die Eintrittskarten lösten.
Thorvaldsen packte Meagan am Arm. »Ich möchte, dass Sie von hier verschwinden. Jetzt sofort.«
»So tough sind Sie doch gar nicht, alter Mann. Ich kann schon auf mich selbst aufpassen.«
»Ich will Sie da nicht hineinziehen.«
»Werden Sie auch die Frau und den anderen Mann töten?«
»Wenn es sein muss.«
Sie schüttelte den Kopf. »Sie sind verrückt.«
»Das stimmt. Darum gehen Sie jetzt.«
Der Regen strömte weiter nieder, plätscherte von den Dächern und prasselte unmittelbar vor ihrem Schutzdach aufs Pflaster. Alles schien in Zeitlupe zu geschehen. Unermesslicher Kummer schwemmte die Rationalität weg, die er sein ganzes Leben lang hochgehalten hatte. Wie viele Surrogate für Glück hatte er seit Cais Tod ausprobiert? Arbeit? Politik? Philanthropie? Sich um Menschen kümmern, die ihn brauchten? Wie Cotton. Und Sam. Aber nichts davon hatte die Hysterie besänftigt, die er ständig in sich wüten fühlte. Das hier war seine Aufgabe. Andere sollten sich da heraushalten.
»Ich will mich nicht totschießen lassen«, sagte Meagan schließlich.
In ihren Worten lag Verachtung.
»Dann gehen Sie.« Er warf ihr sein Handy zu. »Das brauche ich nicht.«
Er wandte sich ab.
»Alter Mann«, sagte sie.
Er verharrte, sah sie aber nicht an.
»Passen Sie auf sich auf.« Ihre Stimme, leise und sanft, ließ erkennen, dass ihre Sorge echt war.
»Sie auch«, sagte er.
Damit trat er in den Regen hinaus.
69
Malone schob sich durch eine schwere, eichene Flügeltür in die Kirche St. André. Sie war typisch für Paris: Apsis mit Giebel, von einer Galerie gekrönt, ein Chorumgang, von hohen Wänden umschlossen. Mächtige Strebbögen gaben den Wänden von außen Halt. Gotische Prachtentfaltung pur.
Kirchgänger füllten die Bänke und standen in den Querschiffen zu Seiten des langen, schmalen Hauptschiffs. Es wurde zwar geheizt, war aber trotzdem so kalt, dass alle ihre Mäntel anbehielten. Viele der Gläubigen hatten Einkaufstüten, Rucksäcke oder große Handtaschen dabei. Was bedeutete, dass seine Aufgabe, eine Bombe oder andere Waffen zu finden, gerade tausendmal schwieriger geworden war.
Er schlenderte an der Menge vorbei. Das Kircheninnere war voller Nischen und Schatten. Hoch aufragende Säulen trugen nicht nur das Dach, sondern boten auch jedem Attentäter Deckung.
Er war bewaffnet und vorbereitet.
Aber worauf?
Sein Handy vibrierte. Er zog sich
Weitere Kostenlose Bücher