Cotton Malone 05 - Der Korse
Secondhand-Buchhandlung als kulturelles Wahrzeichen vor. Sie war über fünfzig Jahre alt und von einem Amerikaner gegründet worden, der sie Sylvia Beachs berühmter Pariser Buchhandlung vom Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts nachempfunden und nach dieser benannt hatte. Beachs Freundlichkeit und ihre großzügige Verleihpraxis hatten sie zur mütterlichen Förderin vieler bekannter Schriftsteller gemacht – darunter Hemingway, Pound, Fitzgerald, Stein und Joyce. Die Reinkarnation ihres Ladens hatte wenig Vergleichbares zu bieten, doch es war ihr gelungen, sich eine populäre Nische in der Bohème zu schaffen.
»Ist Ihr Freund ein Büchernarr?«, fragte Malone.
»Er hat diesen Laden hier einmal erwähnt. Tatsächlich hat er bei seiner Ankunft in Paris eine Zeitlang hier gelebt. Der Besitzer lässt das zu. Drinnen stehen Feldbetten zwischen den Regalen. Als Gegenleistung muss man im Laden arbeiten und jeden Tag ein Buch lesen. Kam mir ein bisschen schräg vor.«
Malone grinste.
Er hatte über diese Übernachtungsgäste gelesen, die sich selbst Tumbleweeds nannten. Manche von ihnen blieben Monate am Stück. Er hatte den Laden in früheren Jahren besucht, aber eigentlich zog er eine andere »Secondhand«-Buchhandlung vor. Den Abbey Bookshop ein paar Straßen weiter, der ihm einige ausgezeichnete Erstausgaben beschafft hatte.
Er blickte auf die wild zusammengewürfelte, bunte Fassade, die unsicher auf ihrem Steinfundament zu ruhen schien. Unter klapprigen Flügelfenstern standen Holzbänke, auf denen niemand saß. Weihnachten war nur noch achtundvierzig Stunden entfernt, und so wimmelte es auf dem Bürgersteig von Passanten, und ein steter Strom von Besuchern ging durch die Haupttüren des Ladens ein und aus.
»Er hat uns aufgetragen, nach oben zu gehen«, sagte Sam. »Zum Spiegel der Liebe. Was auch immer das ist.«
Sie traten ein.
Drinnen roch es nach Alter, unter der Decke spannten sich knorrige Eichenbalken, und am Boden lagen gesprungene Fliesen. Bücher waren aufs Geratewohl auf durchhängende Regalbretter gestapelt, die sich an jeder Wand entlangzogen. Noch mehr Bücher lagen in Stapeln auf dem Boden. Das Licht kam von nackten Glühbirnen, die in heruntergekommene Messingkronleuchter geschraubt waren. In Mäntel, Handschuhe und Schals gepackte Besucher stöberten in den Regalen.
Malone und Sam stiegen ein rotes Treppenhaus zum ersten Stock hinauf. Oben, zwischen Kinderbüchern, erblickte Malone einen hohen Wandspiegel, der mit handgeschriebenen Notizen und Fotos bedeckt war. Überwiegend handelte es sich um den Dank von Menschen, die im Laufe der Jahre in dem Laden gewohnt hatten. Alles Geschriebene war liebevoll und aufrichtig und drückte die Bewunderung für eine Erfahrung aus, die man wohl nur einmal im Leben machte. Eine Karte, leuchtend rosa und in der Mitte des Spiegels festgeklebt, fiel Malone ins Auge.
Sam, erinnern Sie sich an unser Gespräch letztes Jahr.
Der Autor, den ich erwähnt habe, hatte recht.
Gehen Sie in die Abteilung Ökonomie und schauen Sie in sein Buch.
»Das soll wohl ein Scherz sein«, brummte Malone. »Nimmt der Kerl Medikamente ?«
»Ich weiß. Er ist höllisch paranoid. Seit jeher. Er war erst zum Kontakt mit mir bereit, nachdem er sich vergewissert hatte, dass ich wirklich beim Secret Service arbeite. Und immer mit einem Passwort, das sich ständig änderte.«
Malone fragte sich ernsthaft, ob die Sache die Mühe wert war. Aber er wollte eine Ahnung bestätigen, und so durchquerte er den ersten Stock, passierte einen niedrigen Durchgang, über dem die sonderbare Ermahnung Sei nicht ungastlich zu Fremden, sie könnten verkleidete Engel sein stand und trat zu einem Flügelfenster.
Als sie von der Kirche aus weitergegangen und zum Bücherladen geschlendert waren, war ihm der Mann zum ersten Mal aufgefallen. Lang und dünn, mit weiten Khaki-Hosen, einer taillenlangen Marinejacke und schwarzen Schuhen bekleidet. Er war dreißig Meter hinter ihnen geblieben, und als sie vor dem Laden verweilt hatten, hatte ihr Beschatter ebenfalls vor einem Café Halt gemacht.
Jetzt betrat der Magermann unten den Bücherladen.
Malone musste Sicherheit haben, und so wandte er sich vom Fenster ab und fragte: »Weiß Foddrell, wie Sie aussehen?«
Sam nickte. »Ich habe ihm ein Foto geschickt.«
»Vermutlich hat er den Gefallen nicht erwidert?«
»Ich habe ihn nie darum gebeten.«
Malone dachte wieder an den Spiegel der Liebe. »Dann erklären Sie mir, was das für ein Autor ist, von
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