Cotton Malone 05 - Der Korse
Lowe, dem britischen Kommandanten. Bis hinunter zu der Frage, wie er anzusprechen sei. Lowe adressierte ihn als Général. Alle anderen nannten ihn Euer Majestät. Selbst nach seinem Tod ließ Lowe nicht zu, dass die Franzosen Napoleon auf seinen Grabstein schrieben. Er wollte das politisch neutrale Napoleon Bonaparte. Schließlich begruben sie ihn in einem nicht namentlich gekennzeichneten Grab.«
»Ja, Napoleon war eindeutig eine polarisierende Figur«, nahm Thorvaldsen den Faden wieder auf. »Aber sein Testament, das er drei Wochen vor seinem Tod schrieb, ist äußerst aufschlussreich. Seinem Kammerdiener Saint-Denis hat er hunderttausend Francs vermacht und ihn aufgefordert, seine Ausgabe von Das Königreich der Merowinger 450-751 n. Chr. sowie weitere vierhundert seiner Lieblingsbücher aus seiner persönlichen Bibliothek zu nehmen und so lange zu verwahren, bis Napoleons Sohn sechzehn würde. Dann sollte er ihm die Bücher übergeben. Napoleons Sohn erreichte das Alter von einundzwanzig Jahren, starb aber als Gefangener in Österreich. Er hat diese Bücher nie gesehen.«
Zorn schlich sich in seine Stimme. Auch wenn Napoleon viele Fehler gehabt hatte, räumte doch jeder jemals geschriebene Bericht ein, wie sehr Napoleon seinen Sohn geliebt hatte. Er hatte sich von seiner geliebten Josephine scheiden lassen und Marie Louise von Österreich geheiratet, einfach weil er einen legitimen männlichen Erben brauchte, und den konnte Josephine ihm nicht schenken. Der Junge war erst vier gewesen, als Napoleon ins Exil auf St. Helena verbannt worden war.
»Es heißt, in diesen Büchern sei der Schlüssel zu Napoleons verstecktem Schatz zu finden – zu dem, was der Kaiser für sich selbst abgeschöpft hatte. Angeblich soll er diese Reichtümer heimlich an einen Ort geschafft haben, den nur er selbst kannte. Es handelte sich um riesige Werte.«
Er machte erneut eine Pause.
»Napoleon hatte einen Plan, Cotton. Es gab etwas, worauf er zählte. Du hast recht, auf St. Helena gab es einen Willenskampf mit Lowe, aber der wurde nie entschieden. Saint-Denis war sein treuester Diener, und ich wette, Napoleon hat ihm das wichtigste Vermächtnis von allen anvertraut.«
»Was hat das alles mit Graham Ashby zu tun?«
»Der ist hinter diesem verlorenen Schatz her.«
»Woher weißt du das?«
»Lassen wir es einfach dabei bewenden, dass ich es weiß. Tatsächlich braucht Ashby diesen Schatz ganz dringend. Oder, richtiger gesagt, dieser Pariser Club braucht ihn. Die Gründerin des Clubs ist eine Frau namens Eliza Larocque, und sie verfügt über Informationen, die zu seiner Entdeckung führen könnten.«
Er blickte von der Frisierkommode weg auf das Bett, in dem Cai sein ganzes Leben lang geschlafen hatte.
»Ist denn all das nötig?«, fragte Malone. »Kannst du nicht einfach loslassen?«
»War es nötig, deinen Vater zu finden?«
»Das habe ich nicht getan, um jemanden zu töten.«
»Aber du musstest ihn finden.«
»Das alles ist jetzt schon lange her, Henrik. Die Dinge müssen auch einmal ein Ende finden.« Die Worte klangen düster.
»An dem Tag, an dem ich Cai begraben habe, habe ich geschworen, dass ich die Wahrheit über das herausfinden würde, was bei seinem Tod geschehen ist.«
»Ich gehe nach Mexiko« , sagte Cai. »Ich werde Ständiger Vertreter des dortigen Konsulats. «
Er sah die Erregung in den Augen des jungen Mannes, musste ihn aber fragen: »Und wann hört das alles auf? Es ist wichtig, dass du bald die Familienkonzerne übernimmst. «
»Als wenn du mich tatsächlich irgendwas entscheiden lassen würdest. «
Thorvaldsen bewunderte seinen Sohn, der soldatisch breite Schultern und einen athletisch schlanken Körper hatte. Die Augen waren so wie früher seine eigenen, gebrochen blau, auf den ersten Blick jungenhaft, aber bei näherem Hinsehen bestürzend reif. In so vieler Hinsicht war Cai wie Lisette. Oft kam es ihm so vor, als spräche er tatsächlich wieder mit seiner Frau.
»Ich würde dich Entscheidungen fällen lassen« , stellte er klar. »Ich bin so weit, dass ich mich gerne zurückziehen würde. «
Cai schüttelte den Kopf. »Papa, du wirst dich niemals zurückziehen. «
Er hatte seinen Sohn dasselbe gelehrt wie früher einmal sein eigener Vater ihn. Man kann Leute lesen, wenn man einschätzen kann, was sie im Leben wollen. Und sein Sohn kannte ihn gut.
»Wie wäre denn das: nur noch ein einziges Jahr im öffentlichen Dienst« , sagte Cai. »Und dann nach Hause. Ist das akzeptabel?«
Heftiges
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