Cotton Malone 05 - Der Korse
erklärte er Malone. »Ein Beobachter hat festgehalten: Er verlosch, wie eine Lampe verlischt. Er wurde auf St Helena begraben, aber 1840 exhumiert und nach Paris zurückgebracht, wo er jetzt im Hôtel des Invalides ruht. Manche behaupten, er sei ermordet, nämlich langsam vergiftet worden. Andere glauben an eine natürliche Todesursache. Keiner weiß es genau. Aber es spielt auch keine Rolle.«
Er entdeckte einen verknoteten Kordelschwanz, der auf einem der Regalbretter lag. Er und Cai hatten den Drachen eines Sommernachmittags vor langer Zeit fliegen lassen. Ein Moment der Freude durchschoss ihn – ein seltenes Gefühl, gleichzeitig wundervoll und unangenehm.
Nur mit Mühe gelang es ihm, sich zu konzentrieren, und er fuhr fort: »Napoleon hat unglaublich viel geraubt. Auf dem Weg nach Ägypten eroberte er Malta und verschaffte sich Münzen, Kunstobjekte, Silber, Schmuck und Gold im Wert von fünf Millionen Francs von den Malteser Rittern. Der Geschichtsschreibung zufolge ging der Schatz während der Seeschlacht bei Abukir im Meer verloren. Interessant, dass wir Schlachten wie große epische Dramen benennen. Als die Briten im August 1798 die französische Flotte vernichteten, starben eintausendsiebenhundert Seeleute. Und doch geben wir einer solchen Schlacht einen Titel wie einem Roman.«
Er machte eine Pause.
»Der Malteser-Schatz soll angeblich auf einem der untergegangenen Schiffe gewesen sein, aber keiner weiß, ob das tatsächlich stimmt. Es gibt noch viele solche Geschichten. Häuser, Burgen, ganze Staatsschätze wurden geplündert. Sogar der Vatikan. Napoleon ist der einzige Mensch, der die Kirche erfolgreich ihres Reichtums beraubt hat. Ein Teil der Beute ist als offizielles Eroberungsgut in Frankreich eingetroffen, ein Teil dagegen nicht. Es hat nie eine angemessene Aufstellung gegeben. Bis heute behauptet der Vatikan, dass Gegenstände verschollen sind.«
Beim Sprechen kämpfte Thorvaldsen mit den Geistern, die in diesem ihm heiligen Raum gegenwärtig waren wie eine Kette versäumter Gelegenheiten. Er hatte sich sehr gewünscht, dass Cai das Familienerbe antrat, aber sein Sohn hatte sich erst dem öffentlichen Dienst weihen wollen. Thorvaldsen hatte ihm nachgegeben, da er selber als junger Mann ebenfalls seine Neugier mit einer Weltreise befriedigt hatte. Die Welt schien damals so anders gewesen zu sein. Menschen wurden nicht erschossen, während sie einfach nur ihr Mittagessen verspeisten.
»Als Napoleon starb, hat er ein ausführliches Testament hinterlassen. Es ist lang, mit vielen finanziellen Einzelvermächtnissen. Insgesamt umfasste es um die drei Millionen Francs. Die meisten wurden nie ausgezahlt, da kein Geld da war. Napoleon befand sich im Exil. Er war entthront worden. Außer dem, was er auf St. Helena mitgenommen hatte, besaß er nur wenig. Aber wer sein Testament las, hätte ihn für wohlhabend gehalten. Vergiss nicht, es bestand nie die Absicht, ihn lebend von St. Helena wegkommen zu lassen.«
»Ich habe nie verstanden, warum die Briten ihn nicht einfach umgebracht haben«, sagte Malone. »Er stellte doch eine offensichtliche Gefahr dar. Zum Teufel, er ist doch sogar aus seinem ersten Exil auf Elba entkommen und hat Europa ins Chaos gestürzt.«
»Das stimmt, und als er sich endlich den Briten ergeben hat, hat das sehr viele Leute überrascht. Er wollte nach Amerika gehen, und sie hätten das beinahe zugelassen, entschieden sich dann aber doch dagegen. Du hast recht – er war eine echte Gefahr. Und keiner wollte irgendwelche weiteren Kriege. Aber hätte man ihn getötet, wären neue Probleme entstanden. Zum einen wäre er zum Märtyrer geworden. Selbst in seiner Niederlage wurde Napoleon noch von vielen Franzosen und Briten verehrt. Und dann gibt es natürlich noch eine andere Erklärung.«
Er erblickte sein Gesicht im Spiegel über der Frisierkommode. Ausnahmsweise einmal leuchteten seine Augen vor Energie.
»Es hieß, er verfüge über ein Geheimnis, eines, das die Briten gerne erfahren hätten. Namenloser Reichtum, all die verschollene Beute, und die wollten die Engländer gerne haben. Die Kapoleonischen Kriege waren teuer gewesen. Deswegen ließ man ihn am Leben.«
»Um mit ihm zu verhandeln?«
Thorvaldsen zuckte die Schultern. »Eher schon, um darauf zu warten, dass Napoleon einen Fehler beging und ihnen dadurch die Lage des Schatzes verriet.«
»Ich habe über seine Zeit auf St. Helena gelesen«, sagte Malone. »Es gab einen ständigen Willenskampf zwischen ihm und Hudson
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