Couchgeflüster
Sie dringend?»
Huch! Anscheinend verwechselt sie Verhaltenstherapie mit privater Einkaufsberaterin. Macht aber nichts.
«Gleich geht’s los», verspreche ich, während wir das Kaufhaus betreten. «Vorher würde ich gerne erfahren, was Sie am Dienstag –»
«Dienstag?» Sie blickt mich irritiert an, als habe ich sie nach dem Modetrend für das Jahr 3000 gefragt.
«Sie hatten mich doch vom KaDeWe aus angerufen und die Sitzung abgesagt», helfe ich ihrem Gedächtnis auf die Sprünge.
Verwundert bleibt Jeanette Krüger vor dem Bulgari-Shop stehen und betrachtet in der Auslage eine sündhaft teure Wildleder-Handtasche, die der ihren sehr ähnlich sieht. «Tut mir leid, ich kann mich beim besten Willen nicht mehr erinnern.»
Auweia! Leidet sie etwa auch an Amnesie?
«Sie wissen es nicht mehr?»
«Nein, leider, aber ist ja auch schon zwei Tage her», erklärt sie lachend. «Ich merke mir nur ganz wichtige Sachen. Wenn neue Kollektionen eintreffen zum Beispiel, Termine von Modenschauen natürlich auch oder unseren Termin hier. Alles andere ist doch nur unnötiger Ballast, oder nicht?»
Da stimme ich ihr gerne zu. Ich vergesse ja auch so einiges. So gesehen leide ich dann wohl auch unter Amnesie. Ichmuss unbedingt recherchieren, ob es dafür eine medizinische Bezeichnung gibt.
«Haben Sie denn am Dienstag etwas gekauft?», bohre ich weiter.
«Bestimmt», antwortet Jeanette, ohne lange zu überlegen. «Ich komme niemals ohne Tüte nach Hause. Sie wissen doch, wie mich das frustriert.»
«Und was genau haben Sie erstanden, Frau Krüger?»
«Sie fragen genauso wie mein Hubert, Frau Doktor. Der will auch immer alles ganz genau wissen. Und wenn ich es ihm dann erzähle, sagt er:
Das hast du doch schon
.» Jeanettes verständnisloser Miene ist anzusehen, dass sie sich über meine Fragen wundert. «Iss das denn wichtig für die Therapie?»
«Ja, sogar sehr wichtig», behaupte ich mit fester Stimme. «Es war sicher etwas ganz Außergewöhnliches, das Sie gekauft haben. Sonst hätten Sie doch unsere Sitzung nicht abgesagt, oder? Es wäre sehr hilfreich, wenn Sie mir jeden einzelnen Einkauf ganz detailliert beschreiben könnten.»
«Aha … Na gut, dann muss ich wohl mal überlegen», murmelt Jeanette, während wir an den Uhrenauslagen namhafter Designer vorbeiflanieren.
«Waren es vielleicht Schuhe?», frage ich und deute auf ihre Highheels. «Sehr schick übrigens, und sie sehen so neu aus.»
Jeanette streckt einen Fuß aus und starrt nachdenklich den orangefarbenen Schuh an. «Stimmt!», bestätigt sie meine Vermutung. «Die trage ich heute zum ersten Mal. Aber ich kann mich nicht entsinnen, wo und wann ich die gekauft habe.»
Mittlerweile haben wir im Erdgeschoss jeden Shop besichtigt und sind an allen Präsentationsständen vorbeigeschlendert, aber Frau Krüger hat noch immer nichts gekauft. Ja,sie hat nicht mal den Wunsch geäußert, etwas zu erstehen. Ablenkung ist offensichtlich genau das Richtige. Vielleicht langweilt sie sich zu Hause nur und geht deshalb ständig shoppen.
«Also, wollen wir in die Klamottenabteilung, und Sie zeigen mir, wie so eine Shoppingtour von Ihnen aussieht, Frau Krüger?»
Ein glückseliges Lächeln huscht über ihr Gesicht, und ihre blauen Augen beginnen zu leuchten, als wäre sie verliebt.
«Wenn ich gewusst hätte, wie viel Spaß so eine Verhaltenstherapie macht, wär ich schon viel früher zu Ihnen gekommen, Frau Doktor … Aber sagen Sie doch bitte Jeanette zu mir.»
«Ähm, ja, gerne», stottere ich. «Und ich bin Nel- … Ella.» Hoppla, da hätte ich mich doch beinahe verplappert.
«Also, Ella, mir nach!», fordert sie mich auf und dirigiert mich Richtung Rolltreppe.
«Fangen wir oben an?»
Jeanette übergeht meine Frage mit einer leichten Handbewegung. «Ich brauche ganz dringend einen Paillettenblazer. Hubert veranstaltet nämlich nächste Woche das jährliche Sommerfest für seine Angestellten. Und da möchte ich mich ordentlich aufrüschen. Schließlich bin ich die Frau vom Chef!»
Bei mir läuten sämtliche Therapiealarmglocken. So viele Klamotten, wie Jeanette laut ihrer eigenen Aussage besitzt, hat sie garantiert genug partytaugliche Outfits für die nächsten zehn Jahre im Schrank. Und ich verwette mein Yogastudio, dass sich darunter mindestens ein ungetragener Paillettenblazer findet!
Wenn ich sie nun so weit bringen könnte, dass sie die Unnötigkeiteines neuen Blazers einsieht, egal, ob mit oder ohne Pailletten, wären wir vielleicht schon
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