Couchgeflüster
Wohnung keine persönlichen Dinge entdecken konnte. Na ja, immerhin weiß ich jetzt, dass seine Schultern vom Kistenschleppen und nicht vom Surfen so breit geworden sind.
Nach der letzten Poweryoga-Stunde schlurfe ich so erschöpft nach Hause, als hätte ich selbst den ganzen Tag Getränkekistenverladen. Dass die Stunde nur von drei Schülerinnen besucht war, hebt meine Laune auch nicht gerade.
Ich nehme mir vor, eine Kleinigkeit zu essen, anschließend heiß zu duschen und danach sofort ins Bett zu gehen, um mich mal wieder so richtig auszuschlafen.
Als ich die Tür zu Brittas Wohnung öffne, bleibe ich irritiert in dem großen Vorraum stehen.
Auf allen Besucherstühlen sitzen junge Männer in Jeans und Shirt. Mit ihren breiten Schultern, den kantigen Gesichtern und den ausgebleichten Haarspitzen sehen sie allesamt wie attraktive Surfertypen aus. Ein bisschen so wie Ben. Oder bin ich so verliebt, dass ich überall nur noch ihn sehe?
Aber natürlich ist mir klar, dass hier gerade mal wieder ein Statisten-Casting stattfindet. Also begrüße ich Britta und die Kostümbildnerin Eva Henze, die oft bei solchen Castings dabei ist, nur flüchtig und verziehe mich in mein Zimmer.
Völlig erschöpft schmeiße ich mich aufs Bett und falle wenig später in einen unruhigen Tagtraum.
Es wird bereits dunkel, als ich Brittas Stimme vernehme.
«Hattest du eine Begegnung der dritten Art?», fragt sie heiter. «Oder was war vorhin los? Du bist ja so schnell verschwunden, als wärst du auf der Flucht gewesen.»
«Nee, ich war nur so überrascht, weil da lauter Getränkehändler rumsaßen», murmle ich verschlafen.
Britta starrt mich an, als würde ich Chinesisch sprechen.
«Ähm … ich meine, die sahen alle aus wie Ben», erkläre ich mein verwirrendes Gefasel.
«Ah, der Typ mit der Gedächtnislücke.» Sie setzt sich ans Fußende. «Muss ja ein sehr attraktiver Mann sein. Tja, wenn solche Schönlinge im Rudel daherkommen, sind sie schwerzu ertragen, nicht wahr? Aber was soll ich machen, Job ist Job …» Sie grinst mich übermütig an. «Und wie war dein Tag?»
Mir entschlüpft ein tiefer Seufzer. «Ich bin verliebt.»
«Erzähl», fordert sie mit großen Augen. «Wer ist es?»
«Ich spreche immer noch von Ben», erkläre ich empört.
«Aber der hat doch einen psychischen Knall, oder nicht?»
«Es ist nur eine retrograde Amnesie», korrigiere ich fachkundig. «Ansonsten ist Ben vollkommen normal.»
«Auch wenn du dem Dachschaden einen lateinischen Namen verpasst, weißt du immer noch nicht, was mit dem Kerl los ist. Ich kann dich nur warnen, Nelly, lass die Finger davon. Der Psychokram ist was für Fachleute.»
Ich bleibe unerschütterlich. «Denk doch nicht immer gleich das Schlimmste. Ich weiß, dass Ben der Richtige für mich ist. Wir haben jede Menge Gemeinsamkeiten, und es war Liebe auf den ersten Blick. Bei uns beiden. Er liebt mich … Nur hat er das leider vergessen.»
Britta lacht kurz auf. «Wenn er dich wirklich lieben würde, hätte er sich längst wieder an dich erinnert. Und Gemeinsamkeiten sind vollkommen überbewertet, genauso wie diese angebliche Liebe auf den ersten Blick.» Sie sieht mich streng an. «In der Regel ist das nichts anderes als ein heftiges Aufwallen der Hormone. Ein Urinstinkt, damit die Menschheit nicht ausstirbt. Aber davon abgesehen: Was solltest du mit einem Getränkehändler gemein haben, Nelly?»
«Na, das ist doch ein kreativer Beruf», verteidige ich mich. «Ich meine, nimm zum Beispiel den Typen, der
Red Bull
erfunden hat. Der ist damit Multimillionär geworden.» Keine Ahnung, woher dieser Geistesblitz eben kam. Vielleicht, weil Phillip diesen Powerdrink so liebt. «Betrachtet man dasGanze mal aus dieser Perspektive, dann bekommt der Beruf des Getränkehändlers doch richtig Glamour. Also, nicht dass ich mir viel aus Geld machen würde. Aber ein Leben ohne Geldsorgen ist zweifellos angenehmer als eines mit leerem Bankkonto. Ich weiß, wovon ich spreche.» Erschöpft lasse ich mich zurück in die Kissen fallen.
«Red Bull!?»
, wiederholt Britta spöttisch. «Du redest wirres Zeug, Nelly Nitsche. Du willst doch nicht tatsächlich eine Beziehung führen, die auf pappsüßes Zuckerwasser mit Koffein gründet, oder?»
«Natürlich nicht», wehre ich mich entrüstet. «Ben und ich haben wirklich jede Menge gemeinsam. Wir fahren beide sehr ungern mit dem Lift und sind erst vor kurzem umgezogen. Außerdem trinke ich gerne Saft und literweise Wasser.»
«Wie
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