Cover
nicht mehr da, es gab nur noch
Stanley für Carol. Sie spürte, wie sie ihren Kampf gegen die Vernunft verlieren würde.
Ihre Brüste zogen, und in ihrem Unterleib
tanzten Schmetterlinge. Noch ein paar
Sekunden, und sie würde auf ihn zustürzen,
um ihre Lippen noch einmal auf seine zu
pressen, sein Aftershave an ihm zu riechen,
seine Oberarme anzufassen, seine Wärme
durch das Hemd zu spüren …
Stanley guckte zur Seite und atmete tief
durch. Der Augenblick war vertan und Carol
91/520
verzweifelt. Sie wollte schreien und wünschte sich ein paar Sekunden zurück. Zu spät.
Lässig lehnte er sich wieder an die Spüle. Am liebsten wäre sie vor ihm auf die Knie gefallen. Doch im gleichen Augenblick schalt
sie sich für ihre Stolzlosigkeit.
Endlich blickte er sie wieder an. Die Gier
war gewichen, und Sachlichkeit war darin zu
lesen. Er verschränkte die Arme und legte
den Kopf schief. »Schade, ich hätte dich
gerne in deinen neuen Sachen gesehen. Und
noch einmal schade, dass ich dich wahr-
scheinlich nie darin sehen werde.«
Doch, rief es in ihrem Kopf, ich will dir
die Sachen zeigen, sofort, und du sollst jedes Stückchen Stoff langsam von meinem Körper
ziehen, um mich in meiner Nacktheit in dich
aufzunehmen.
»Tja, so ist das Leben«, sagte Carol
stattdessen.
Er zog die Augenbrauen hoch und
seufzte. »Tja dann … ich werde mich
92/520
zurückziehen. Wenn du noch etwas brauchst,
du weißt ja, wo du die Küche, oder zur Not
auch mich, findest.«
Carol nickte, unfähig zu sprechen. In
diesem Augenblick hörte sie einen Schlüssel
in der Haustür.
»Ah, das ist meine bessere Hälfte. Du
wirst sicher mit ihr noch ein bisschen plaudern wollen. Gute Nacht«, sagte er leichthin.
»Gute Nacht«, presste Carol hervor.
Dann platzte auch schon Deborah in die
Küche. »Ach, hier seid ihr. Mann, war das
ein Tag! Hallo, Schatz! Hallo, Carol-Liebes.«
Sie sah frisch aus, ihre Wangen rosig, voller Schwung, Freude und Vitalität. Carol be-neidete sie. Endlich hatte sich ihr Herzschlag beruhigt. Doch als Stanley sich noch einmal
für die Nacht verabschiedete und Carol
erneut anblickte, kam ihr Blut wieder in
Wallung.
Mit Deborah über den Tag zu sprechen,
dazu hatte Carol überhaupt keine Lust. Im
93/520
Gegenteil, der Elan, den Deborah ver-
sprühte, stieß bei Carol nur auf Unmut. Kurz und knapp erzählte Carol von ihrer Stadtbe-sichtigung und versuchte, Deborah den
Eindruck zu vermitteln, müde zu sein und
ins Bett zu wollen.
»Du siehst ganz erschöpft aus, meine
Liebe. Vielleicht solltest du ins Bett gehen, damit du morgen wieder fit bist.« Mitleidig
blickte Deborah sie an.
Carol hatte es geschafft. »Vielleicht hast
du recht. Gute Nacht.«
»Gute Nacht, meine Liebe. Ach, ich fliege
morgen übrigens nach Chile.«
Mit einem Ruck blieb Carol in der
Küchentür stehen und drehte sich zu ihrer
Freundin um. »Nach Chile? Wieso das
denn?« Plötzlich war Carol hellwach.
»Beruflich. Ich muss dort in der Filiale
unserer Firma in der Personalplanung aus-
helfen. Ich werde in drei Tagen zurück sein.«
94/520
»Aber … Wieso ausgerechnet jetzt und
das so schnell?«
»Wenn Not am Mann ist, dann kann das
von einem Tag auf den anderen passieren.
Das ist nicht ungewöhnlich.«
»Aha. Sehen wir uns denn noch? In drei
Tagen fliege ich wieder nach Hause, das
weißt du doch, oder?«
»Ja, das weiß ich. Aber leider kann ich
keine Rücksicht darauf nehmen. Geschäft ist
Geschäft.«
»Klar, das verstehe ich.« Carols einzige
Angst war, mit Stanley alleine zu sein. Die
Gefahr der Schwäche war einfach riesig bei
ihr. Nein, sie musste standhaft bleiben. De-
borah war eine ihrer besten Freundinnen.
Sie durfte es sich mit ihr nicht verscherzen, nur
wegen
eines
Mannes
und
einer
Liebesnacht.
»Kann ich dich mit Stan alleine lassen?«,
fragte Deborah, als hätte sie ihre Gedanken
gelesen.
95/520
»Klar kannst du das!«
»Ach, das weiß ich doch. Komm her.«
Deborah zog Carol in die Arme und gab ihr
einen Kuss auf die Wange. »Hab eine schöne
Zeit und genieß die Ausstellung. Wir sehen
uns bestimmt noch. Ich denke, mein Flug
wird nicht so spät gehen. Schlaf gut.«
»Danke, dir einen guten Flug und gute
Nacht.«
Carol winkte, als sie die Küche verließ.
***
Als Carol den oberen Treppenabsatz er-
reicht hatte und ihre Zimmertür öffnen woll-
te, kam Stanley aus dem schräg gegenüber-
liegenden Schlafzimmer und wollte gleich
daneben ins
Weitere Kostenlose Bücher