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CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)

CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)

Titel: CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martyn Bedford
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Die Seele könne als das definiert werden, was man im Allgemeinen meint, wenn man »Ich« sagt.
    Und wer bist du?,
lautete Robs Antwort-SMS.
    Ich bin Alex. Ich bin Alex. Ich bin Alex.
     
    Am Samstag war er so weit fit, dass er das Haus verlassen konnte. Flips Mutter bot ihm an, ihn zu begleiten, »falls es dir doch ein bisschen komisch wird«, aber davon wollte er nichts wissen.
    »Ich muss da allein durch«, erwiderte er, als wollte er die Antarktis durchqueren und nicht nur zur Ladenzeile in der Ortsmitte gehen.
    Auf einmal konnte er machen, was er wollte. Wenn seine Krankheit einen Vorteil gehabt hatte, dann den: Die Garamonds hatten seinen betrunkenen Auftritt vergessen oder sprachen jedenfalls nicht mehr darüber   … und ebenso wenig erwähnten sie, dass er offiziell Hausarrest hatte. Die Mutter war so froh, dass es ihrem Sohn besser ging, dass sie ihr Verhältnis nicht durch die Wiederaufnahme früherer Feindseligkeiten wieder trüben wollte (obwohl es im Flur immer noch ein bisschen nach Kotze roch).
    Alex ging nach Litchbury hinein. Langsam und einbisschen wacklig noch, aber die frische Luft belebte ihn und es fühlte sich gut an, seine   – beziehungsweise Flips   – Beine wieder zu benutzen.
    Als Erstes machte er am Geldautomaten halt, um mit Philips Karte Bargeld zu ziehen (was davon noch übrig war, nachdem er Mr Garamond den Betrag hatte zurückzahlen müssen, den er aus seiner Brieftasche geklaut hatte). Dann ging er zu
Saiten und Tasten,
dem Musikgeschäft am Ort, um sich eine Klarinette zu kaufen.
    Wenn er Alex war, dann wollte er ab jetzt auch das machen, was Alex machte.
    Und Alex spielte weder Kricket noch Basketball; Alex ging nicht skateboarden, er warf keine Frisbees am Strand und er schwamm nicht wie ein Olympiasieger; Alex küsste keine hübschen Mädchen. Alex spielte Schach. Er las Bücher. Er spielte Klarinette.
    Falls sich die Verkäuferin über einen Vierzehnjährigen ohne Begleitung wunderte, der etwas so Teures wie eine Klarinette kaufen wollte, so ließ sie sich nichts anmerken. Sie war höflich und nett. Der kleine, vollgestopfte Laden lag an der belebten Hauptstraße. Die Schaufenster vibrierten bei jedem vorüberfahrenden Auto, als entwickelte sogar das Glas musikalischen Ehrgeiz. Es roch nach Harz und Staub. Im Hintergrund dudelte leise Choralmusik. Alex war der einzige Kunde, aber es hörte sich so an, als kramte noch ein weiterer Angestellter im Lager herum. Alex’ Atem ging nach dem Spaziergang hierher noch ein bisschen keuchend. Die acht Minuten, die er gebraucht hatte, kamen ihm vor wie achtzig.
    Das Geschäft habe nicht viele Klarinetten vorrätig, erklärte ihm die Verkäuferin und führte ihn an einem Regal mit Noten vorbei in die Holzblasabteilung. Sie kam ihm irgendwie bekannt vor, aber er wusste nicht, woher. Ungefähr so alt wie Mum. Schlank, freundlich, und ihr dunkles Haar machte den Eindruck, als sei es nicht begeistert davon, von den vielen Klammern und Spangen gebändigt zu werden. Ihr Gesicht und die langen, bloßen Arme waren weiß wie Papier.
    »Darf ich sie mal anspielen?«, fragte Alex, als die Frau eine der Klarinetten aus dem Halter nahm und ihm reichte. Die Verkäuferin lächelte. Selbstverständlich.
    Zuletzt hatte er in seinem Zimmer in Crokeham Hill eine Klarinette in der Hand gehalten, als Mum ihn ertappt hatte, wie er in den Sachen »ihres Sohnes« herumschnüffelte. Das Instrument hatte sich in seiner Hand gut angefühlt und auch dieses hier fühlte sich gut an.
    Er leckte sich über die Lippen. Hob die Klarinette an den Mund. Befeuchtete das Blatt.
    »Philip?«
    Er wandte den Kopf. Es war Cherry. Sie war hinter dem Tresen im hinteren Teil des Ladens aufgetaucht. Alex ließ die Klarinette sinken und machte ein verlegenes Gesicht, als hätte sie ihn bei etwas Verbotenem erwischt. Dann sagte er leise: »Hallo.«
    Cherry kam zu ihm herüber. »Ich wusste gar nicht, dass du Klarinette spielst.« Ohne Schuluniform sah sie ganz anders aus und hätte fast in Teris Alter sein können. Sie trug eine neu aussehende Jeans und ein gelbesBaumwolltop, die Haare hatte sie mit einem Zopfgummi zum Pferdeschwanz gebunden.
    Alex antwortete nicht. Höchstwahrscheinlich
wusste
sie, dass Flip nicht spielen konnte.
    »Ein Freund aus der Schule?«, fragte die Verkäuferin freundlich.
    Cherry wandte sich ihr zu. »Was? Ach so, ja   – Mum, das ist Philip. Philip, das ist meine Mutter.«
    »Meine bezaubernde Samstagsaushilfe.« Cherrys Mutter legte ihrer Tochter die

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