CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)
Hand auf die Schulter. »Natürlich nur zum Mindestlohn.«
Jetzt wusste Alex, wo er die Frau schon einmal gesehen hatte: als sie ihre Tochter und das Cello auf dem Schulparkplatz abgeholt hatte, nachdem Cherry dort seinen Zusammenbruch miterlebt hatte. An Alex’ erstem Tag als Flip. Als er Cherry zum ersten Mal wahrgenommen hatte. »Guten Tag, Mrs Jones«, sagte er.
Sie zeigte auf die Klarinette, die Alex jetzt wie einen Stock, den man für einen Hund wegwerfen will, in der Hand hielt. »Na, willst du uns nichts vorspielen, Philip?«
»Mum, ich glaube, Philip ist hergekommen, weil er
mich
sehen wollte.«
»Aha.« Die Frau schmunzelte und sagte frotzelnd: »Dann bist du bestimmt der Junge, der meiner Tochter Gedichte in den Spind steckt.«
»Mum!«
»Ehrlich gesagt wusste ich nicht, dass du hier arbeitest«, sagte Alex zu Cherry.
»Aha.«
»Der junge Mann ist ein
Kunde,
Schätzchen«, sagte Mrs Jones. »Bitte entschuldige, Philip, aber heutzutage bekommt man einfach kein gutes Personal mehr.«
Sie wollte ihm das Instrument wieder abnehmen, aber Alex hielt es fest. »Nein, ich bin
wirklich
hergekommen, um eine Klarinette zu kaufen.«
Sein Blick wanderte von Mrs Jones zu Cherry. Dann hob er das Instrument zum zweiten Mal an die Lippen. Sammelte sich. Konnte er als Flip überhaupt spielen? Mit diesen Lippen, diesem Mund, diesen Fingern? Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden. Vor den neugierigen Augen von Mutter und Tochter leckte sich Alex abermals die Lippen, holte tief Luft – und spielte.
An diesem Nachmittag gingen sie zum Fluss. Alle drei: Alex, Cherry und Beagle. Alex hatte am Ufer entlangspazieren wollen, so wie neulich, aber als sie die Brücke erreicht hatten, war der Hund erledigt. Deshalb gingen sie die Treppe zum Ufer hinunter und setzten sich auf eine Bank, damit Beagle sich ausruhen konnte.
»Er ist schon alt, was?«, erkundigte sich Cherry.
»Alt, übergewichtig und asthmatisch. Kriegen Hunde überhaupt Asthma? Wie grausam wäre das denn?«, sagte Alex und lachte. »Ein asthmatischer Hund, der gegen sich selber allergisch ist.«
Cherry tadelte ihn, er solle nicht so gemein sein, lachte aber trotzdem. Beagle legte sich zu ihren Füßen der Länge nach ins Gras und hob den Kopf, als er Cherrys Stimme hörte.
»Beags mag dich«, sagte Alex.
Alex und Beagle hatten bei Ladenschluss um halb sechs vor dem Musikgeschäft gewartet. Mrs Jones hatte ein erstauntes, aber doch erfreutes Gesicht gemacht. Was Cherry betraf, so konnte Alex ihre Reaktion überhaupt nicht deuten. Während ihre Mutter das Sicherheitsgitter herunterzog und abschloss, hatte Cherry ihn völlig ignoriert und einen ziemlichen Wirbel um Beagle gemacht. Es war ein bisschen peinlich, ein Mädchen in Anwesenheit seiner Mutter zu einem Spaziergang einzuladen, aber Alex beschloss, nicht lange herumzureden.
»Wir drehen eine Runde. Hat jemand Lust, mitzukommen?«
»Ich habe zu Hause noch zu tun«, erwiderte Mrs Jones mit ihrem leicht ironischen, aber doch netten Lächeln. »Aber ich glaube, Cherry geht gern mit.«
Cherry hockte auf Schnauzenhöhe mit Beagle und erlaubte ihm, ihr übers Gesicht zu lecken. »Und ich glaube, Mum, dass Cherry für sich allein entscheiden kann. Ich glaube, Cherry kann sogar allein antworten.«
Sie stand auf und sah ein bisschen verärgert aus. Ehe sie Nein sagen konnte, zeigte Alex auf den Hund. »Er ist sauer auf mich, weil ich ihn vom Tennis weggeholt habe.«
»Vom Tennis?«
»Beagle guckt immer Tennis im Fernsehen. Er ist richtig süchtig danach, ehrlich. Bloß gemischte Doppel sieht er aus irgendeinem Grund nicht so gern.«
Cherry bekam einen Lachanfall.
Und nun saß sie neben ihm auf der Bank am Fluss.
»Wieso heißt er eigentlich Beagle?«, fragte sie. »Er ist doch ein Golden Retriever.«
»Keine Ahnung.«
»Du weißt nicht, woher euer Hund seinen Namen hat?«
»Er hieß schon so, als wir ihn aus dem Tierheim geholt haben.« Das war natürlich gelogen. Erstaunlich, wie leicht ihm die Lügen in letzter Zeit über die Lippen gingen.
»Vielleicht hat der Name was mit der
HMS Beagle
zu tun«, sagte Cherry. »Darwins Schiff, du weißt schon.«
»Auf keinen Fall. Dieser Hund hat mit natürlicher Auslese nicht das Geringste zu tun.«
»Du bist schon wieder gemein.« Cherry beugte sich vor und hielt dem Hund die Ohren zu. »Hör gar nicht hin, Beags.« Der Hund leckte ihr die Hände, dann ließ er das Kinn wieder auf die Pfoten sinken und schnaufte weiter vor sich
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