CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)
hin.
Früher hätte Alex selbst so ähnlich geschnauft. An pollenverseuchten Heuschnupfensommertagen wie diesem hatte ihm sein früherer Körper mit seinen früheren Lungen zuverlässig einen Asthmaanfall beschert. Als Flip brauchte er sich deswegen keine Gedanken zu machen. Er war ein bisschen müde von seinem zweiten Spaziergang nach den Tagen im Bett, aber sonst ging es ihm hervorragend. Cherry erkundigte sich, warum er die ganze Woche nicht in der Schule gewesen sei. Ob es ihm wieder besser gehe. Ob es nicht schon die zweiteWoche gewesen sei, die er in letzter Zeit gefehlt habe? Alex hatte die erste schon fast vergessen: der »Virus«, wegen dem er in der Woche nach seinem Ausflug nicht hatte zur Schule gehen können.
»Heißt das, du vermisst mich, wenn ich mal nicht in der Schule bin?«
»Es ist schwer«, sagte Cherry mit todernster Miene, »aber ich komme schon irgendwie klar.«
In seiner Tasche vibrierte das Handy. Er kümmerte sich nicht darum. Wahrscheinlich war es Donna; sie hatte sich heute mit ihm treffen wollen, aber er hatte zurückgesimst, dass er noch nicht auf dem Damm sei.
»Was macht die Klarinette?«
»Der geht’s prima. Ich habe heute Nachmittag ein bisschen gespielt.« Das »Bisschen« war tatsächlich gerade mal eine halbe Stunde gewesen, die einzige Zeit an diesem Nachmittag, zu der niemand von den Garamonds zu Hause gewesen war. Er konnte ihre unweigerlichen Fragen darüber, wie viel er für das Instrument bezahlt hätte, nicht ertragen … und auch nicht ihre Verwunderung darüber, dass er urplötzlich Klarinette spielen konnte.
»Du spielst schon lange, stimmt’s?«, wollte Cherry wissen.
Alex zögerte. »Ja, seit ich neun bin.«
»Davon hast du nie was erzählt.«
»Mhmm.«
Cherry schaute über den Fluss. »Du spielst gut. Ich meine, richtig gut.«
»Ach was, ich bin ziemlich aus der Übung.«
»Also echt, Philip, wenn das aus der Übung war …« Sie ließ den Satz in der Luft hängen.
Ein paar Enten hatten sich in der Nähe von ihnen versammelt und paddelten hin und her. Alex hätte gerne ein bisschen Brot dabeigehabt. Am gegenüberliegenden Ufer hingen die Zweige einer Weide wie lange grüne Zöpfe ins Wasser, dazwischen tanzten Mückenwolken.
»Wieso nennst du mich eigentlich immer Philip und nicht Flip?«
»So heißt du doch, oder?«
»Schon, aber alle anderen in der Schule nennen mich Flip. Nur du nicht.«
Cherry ließ sich Zeit mit der Antwort. Schließlich sagte sie: »Wenn ich an dich als Flip denke, ist das … ich weiß auch nicht. Ich mag dich als Philip lieber, das ist alles. Ich meine, ja, klar, du bist natürlich trotzdem derselbe, aber als Philip sehe ich dich anders.« Sie seufzte. »Mund an Gehirn, hörst du mich? Erbitte weitere Anweisungen.«
»Schon gut«, sagte er lächelnd. »Es gefällt mir, dass du die Einzige bist, die mich Philip nennt.«
Sie zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich ist Flip ein bisschen zu sehr von sich überzeugt … und Philip nicht.«
Wenn sie so redete, wurde es Alex immer unheimlich. Cherry konnte nicht ahnen, wie nah sie der Wahrheit gekommen war, einer Wahrheit, die noch viel absurderwar als das, was sie gerade in Worte zu fassen versuchte. Wie einfach und wie absolut ausgeschlossen es doch war, ihr alles zu beichten. Hier und jetzt. Die ganze Geschichte rauslassen und sehen, was sie damit anfing.
Beide schwiegen. Die Enten schwammen davon, als sie merkten, dass hier kein Futter zu erwarten war. Alex ertappte sich dabei, dass er wieder über seine Vision nachdachte, und über Flip. Nicht über den körperlichen Flip, sondern den anderen, den er in den Körper eines Jungen im Wachkoma verbannt hatte.
»Cherry, glaubst du, du könntest jemals … jemanden umbringen?«
Sie sah ihn von der Seite an. »Ist das deine Masche?«, fragte sie und verkniff sich ein Grinsen. »Du lockst ein Mädchen an einen abgeschiedenen Ort und beginnst ein Gespräch über Mord?«
Alex beobachtete das Geschwirr der Mücken unter der Weide am anderen Flussufer. »Nein, jetzt mal ehrlich. Könntest du’s? Wenn du dazu gezwungen wärst?«
»Glaub schon.« Cherry beugte sich vor und kraulte Beagle den Rücken. Der Hund legte sich auf die Seite und streckte ihr den Bauch hin. »Wenn mein Leben davon abhängen würde. Oder, was weiß ich, wenn jemand mein kleines Kind bedrohen würde.« Dann zuckte sie die Achseln. »Aber das sagen alle. Als hätten wir es in uns und müssten nur einen Schalter umlegen.«
»Glaubst du nicht,
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